Hendrik Otremba: Benito

Hendrik Otremba credit Max Zerrahn

Ein abgründiger und sprachgewaltiger neuer Roman von Hendrik Otremba

Etwas Geheimnisvolles und Mysteriöses haftete den beiden ersten Romanen Hendrik Otrembas an. Sein 2017 im Verbrecher Verlag veröffentlichtes Debüt „Über uns der Schaum“ geriert zu einer zwischen Science-Fiction und Hardboiled-Krimi mit Film-Noir-Atmosphäre changierenden, aufwühlenden Dystopie, im 2019 bei Hoffmann & Campe erschienenen Nachfolger „Kachelbads Erbe“ wandte sich Hendrik Otremba der Kryonik zu und hinterließ ein mit Realwelten und Träumen spielendes, Konventionen brechendes Highlight der zeitgenössischen, deutschsprachigen Literatur. Obwohl der auch als Sänger der Post-Punk-Band Messer bekannte Autor in „Benito“ seine Hauptfigur mit einem lang zurückliegenden Trauma konfrontiert und erneut geheimnisvolle Spuren verfolgt, bleibt der dritte Roman sein bisher zugänglichster. Gleichwohl sprachlich ebenso brillant wie „Kachelbads Erbe“.

Ein inszeniertes Attentat

Hendrik Otremba Benito Cover März Verlag

Hendrik Otremba siedelt die erzählte Gegenwart ins Jahr 2026. Der Ich-Erzähler, ein erfolgreicher Schriftsteller, verlässt sein nunmehr drei Jahre währendes Exil-Leben in der dörflichen Abgeschiedenheit Italiens, um der überraschenden Einladung zu einem Empfang des Deutschen Wirtschaftskomitees in ein Bonner Hotel zu folgen. Dort wird er Zeuge eines inszenierten Attentats, bei dem der vermeintliche Attentäter mit Platzpatronen die anwesenden Gäste in Schrecken versetzt und seinen unvermeidlichen Tod provoziert. Im Toten erkennt Otrembas Protagonist seinen alten blinden Freund Benito, mit dem er vor über dreißig Jahren einer Pfandfindergruppe angehörte. Aus ständig eingestreuten Rückblenden, für die Hendrik Otremba in die auktoriale Erzählperspektive wechselt, erfahren die Leser den Pfadfindernamen des Erzählers („Cherubim“) sowie sukzessive von der verheerenden Kanu-Flussfahrt der Pfandfindertruppe, an die sich Cherubim im Jahr 2026 nicht mehr en Detail erinnern kann.

Ihm ist klar, dass er bewusst Beobachter der Inszenierung werden sollte, an der offensichtlich noch weitere Personen der ehemaligen Pfadfindergruppe beteiligt waren. Die schicken ihren alten Kumpel auf eine Art Schnitzeljagd durch die alte Heimat im Ruhrpott, die Cherubim in Benitos Welt der letzten dreißig Jahre – seit des verhängnisvollen Ausflugs, bei dem der neunzehnjährige Pfadfinderleiter ums Leben kam und seine Schützlinge eine dreiwöchige, lebensbedrohliche Odyssee erlebten, hatte Cherubim keinen Kontakt mehr zu seinen damaligen Freunden – sowie in die eigene verdrängte Vergangenheit führt.

Hendrik Otremba überrascht mit einem versöhnlichen Ende

In seinem zwischen Coming-of-Age-, Enzwicklungs- und Abenteuerroman mit kriminalistischen Zügen changierenden dritten Roman holt Hendrik Otremba zu einer großen Klage aus. Die später an der Welt zugrunde gehende Titelfigur Benito entwickelt bereits als noch nicht ganz Teenager während der Kanutour seherische Fähigkeiten, die ihn aufgrund der schockierenden Extremsituation, Wahn oder einer Art Erleuchtung zu Sätzen hinreißen, die sonst niemand in diesem Alter zu sprechen vermag. Seine Kapitalismusanklagen und Naturzerstörungsmahnungen sind zwar im Kern ihrer Aussage richtig und völlig passend zu unserer Zeit, aber ein wenig plakativ, vielleicht das einzige Manko dieses Buches.

Insgesamt ein abgründiger, von surreal-magischen Passagen durchzogener und sprachgewaltiger, manchmal gar essayistisch wirkender Roman, wenn Hendrik Otremba über geschichtliche Ereignisse oder Kunst und Kultur referiert. Und trotz des weitestgehend kulturpessimistischen Inhalts belohnt Hendrik Otremba seine Leser mit einem überraschend versöhnlichen Ende.

Hendrik Otremba: „Benito“, März Verlag, Hardcover, 504 Seiten, 978-3-7550-0007-5, 28 Euro. (Beitragsbild von Max Zerrahn)     

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