„Heimspiel Knyphausen 2024“ – Indie-Pop live am Rhein

Heimspiel Knyphausen 2024 Calexico by Werner Herpell Sounds & Books

Wie „Haldern Pop“ und „Orange Blossom Special“ ist das „Heimspiel Knyphausen“ ein Festival der ganz besonderen Art. Die hochkarätige Besetzung ist nur ein starkes Argument, dafür ins Rheingau zu reisen.

Text und Fotos von Werner Herpell

Es gibt wohl kaum einen Sound, der mehr glühende Hitze ausstrahlt als der sonnendurchflutete Wüsten-Mariachi-Folkrock von Calexico. Doch was passiert, wenn diese Band aus Tucson/Arizona ihre oft spanisch betitelten Lieder in einer hessischen Weinbau-Region bei strömendem Regen spielen muss? Eigentlich gar nichts, wenn das Publikum so begeisterungsfähig und hart im Nehmen ist wie beim Festival „Heimspiel Knyphausen“ auf dem parkähnlichen Winzerguts-Gelände in Eltville-Erbach am Rhein. Es wird dann trotzdem ein ganz wunderbares Calexico-Konzert – angesichts der äußeren Umstände sogar ein besonders denkwürdiges.

„Flüssiges Konfetti“ beim Calexico-Auftritt

Dass die sechs Musiker um Joey Burns und John Convertino Profis sind, die bei jedem Konzert ihr Bestes geben, kann man voraussetzen (es ist tatsächlich so). Aber wie die rund 2000 Festival-Besucher, darunter viele gut beschützte und beschirmte Kinder, am Samstagabend temperamentvoll abgingen und diese so virtuose wie bodenständige US-Band feierten, anstatt sich vom miesen Wetter die Laune verderben oder gar vertreiben zu lassen – das war schon eindrucksvoll. Weingut-Chef Frederik zu Knyphausen zeigte sich noch am nächsten Tag, bei besserem Wetter zum Abschied von seinen Besuchern nach drei Festival-Tagen (26.-28.07.2024), ein bisschen fassungslos über so viel widerständige Euphorie. Die Rock-Fans hätten bewiesen, „dass Regen auch nur flüssiges Konfetti ist“, so das Kompliment des sympathischen Unternehmers, dessen Weingut Baron Knyphausen zu den Top-Adressen im hessischen Rheingau gehört.

Beim Namen Knyphausen hat es vermutlich längst geklingelt, wenn man sich mit guter Musik so auskennt wie mit gutem Wein. Denn Gisbert zu Knyphausen, Frederiks jüngerer Bruder, ist bekanntlich einer der Lieblings-Songschreiber auch dieses Magazins – und seit 2012 Gastgeber, Organisator, Impresario des längst vom regionalen Geheimtipp zum bundesweit ausstrahlenden Festival-Fixpunkt aufgestiegenen „Heimspiels“. Dazu gehört, dass „der Gisbert“, wie der Wahl-Berliner hier in seiner hessischen Heimat liebevoll genannt wird, jedes Jahr selbst einen großen Auftritt im eigenen Garten hinlegt. Bei der 13. Auflage übernahm der Sänger und Gitarrist den Eröffnungsabend am 26.07.2024.

„Der Gisbert“ begeistert beim Heimspiel

Nach dem frischen, femininen Indie-Rock von Brockhoff als Festival-Opener hatte Brookln Dekker, die US-amerikanische Hälfte des Ehepaar-Duos Rue Royale, mit warmem, freundlichem Folkpop das Publikum bereits ordentlich vorgeglüht, als Gisbert zu Knyphausen mit seiner vierköpfigen Band loslegte – auf einer geräumigen Bühne zwischen Weinreben und Gutshaus, Campinggelände und Gastronomie-Zelten (es gibt hier im alkoholischen Ausschank nur Wein, den aber vom Feinsten). Was dieser Musiker inzwischen an tollen Liedern im Repertoire hat, macht ihn zu einem der ganz großen Singer-Songwriter im deutschsprachigen Raum – und auch live weiß der 45-Jährige immer zu überzeugen. Der Querschnitt durch sein Solo-Werk seit dem selbstbetitelten Debüt von 2008 ließ kaum Wünsche offen, besonders gefeiert wurden Stücke des bisher letzten und stärksten Knyphausen-Albums „Das Licht dieser Welt“ von 2017. 

Der Samstag (27.07.2024) brachte Eltville den eingangs erwähnten „Heimspiel“-Starkregen – und ansonsten ein Festival-Programm zum Niederknien. Wer am Vormittag Lust auf eine Rheindampfer-Tour hatte, musste auf superbe Musik dabei nicht verzichten. Im Gegenteil, der Gig von Rob Goodwin, hauptberuflich Frontmann der britischen Melancholiker-Band The Slow Show, war der eigentliche Anlass für diesen Ausflug. Also ließ man die Rhein-Ufer gemächlich an sich vorbeiziehen und hörte dazu unter Deck des „Heimspiel-Liners“ exzellente, bislang unveröffentlichte Solo-Stücke des sensiblen Bariton-Sängers und Gitarristen aus Manchester, der seit längerem der Liebe wegen in Düsseldorf beheimatet ist, umrahmt lediglich von dezenten Keyboards und einigen weiblichen Vocals. Auf das zum Jahresende geplante Goodwin-Debütalbum darf man nun sehr gespannt sein.

Susan O’Neill als Top-Entdeckung

Schnell zurück aufs Weingut Knyphausen, wo Soft Loft aus der Schweiz als diesjährige „Heimspiel-Hoffnung“ den Nachmittag klasse starteten und gegen Abend die Irin Susan O’Neill weitermachte. Man übertreibt wohl nicht, sie als Top-Entdeckung des diesjährigen Festivals hervorzuheben. Mit Gitarre, Trompete und einer grandiosen, gelegentlich angerauten Stimme verzauberte die junge Künstlerin, deren Album „Now In A Minute“ Mitte September erscheint, wohl jeden „Heimspiel“-Besucher. Später rührte O’Neill auch als Calexico-Gast im Duett mit Joey Burns bei Neil Youngs „Heart Of Gold“ zu Tränen. Ein ganz und gar famoser Auftritt. Wer Die Sterne mag, dürfte das anschließend auch über deren gut einstündiges Konzert gesagt haben. Frank Spilkers bissig-humorvolle linke Texte, seine imposante Erscheinung als Sänger und Gitarrist, der ansteckende Groove seiner dreiköpfigen Band – „Hamburger Schule in funky“ halt, man kennt es und man liebt es.

Etwas Pech mit dem verstärkt einsetzenden Regen hatten danach Timber Timbre, das hoch gehandelte Folk-Noir-Trio aus Kanada. Gitarrist/Sänger Taylor Kirk und seine auf der Bühne seitlich vor ihm platzierten Begleiter an Schlagzeug und Keyboards kamen mit ihrem komplexen, teils noisigen Sound nicht so zur Geltung, wie man es ihnen gewünscht hätte. Als Calexico dann den Samstag abrundeten, hatten sich die Fans an das feuchte Wetter fröhlich gewöhnt, machten mithin das Beste daraus. Ein fabelhafter Gig – begeisternd auch dann, wenn man die Band aus den USA und Deutschland (Multiinstrumentalist Martin Wenk stammt aus Hessen) schon so oft gesehen hat wie dieser Schreiber. Nach dem Gastauftritt von Susan O’Neill bei „Heart Of Gold“ setzten Burns, Convertino und Co. noch einen drauf, indem sie Gisbert zu Knyphausen auf die Bühne holten – für eine gemeinsame Version von „Hier bin ich“, einem Lied seines Projekts Kid Kopphausen mit dem 2012 tragisch früh verstorbenen Nils Koppruch.

„Heimspiel Knyphausen“ auch nächstes Jahr Ende Juli

Nach so viel Energie vor und auf der Bühne bot der Sonntag (28.07.2024) einen eher chilligen Festival-Ausklang. Die aufstrebende Hamburger Band Willow Parlo ließ mit ihrem Auftritt am Mittag wie angekündigt „Licht in die Seele“. Danach zeigte der Norddeutsche Enno Bunger solo am Keyboard mit feinem Indie-Songwriter-Pop, dass er die Gratwanderung zwischen Euphorie und Melancholie perfekt drauf hat. Textlich zwar oft verhangen („Ihr habt beim nächsten Stück die Wahl zwischen Depressionen und Klimakrise“), aber nie larmoyant oder abgedroschen – kein Wunder, dass sich Bunger und „der Gisbert“ gut verstehen. Anschließend, nach dem Dankeschön der Knyphausen-Brüder an Festivalhelfer und Fans, gab sich Emiliana Torrini die Ehre. Mit den ambitionierten Liedern  des neuen Albums „Miss Flower“ und älteren Indie-Pop-Hits wie „Jungle Drum“ setzte die charismatische Sängerin aus Island einen gelungenen Schlusspunkt.

Fazit: Der gute Ruf des in jeder Hinsicht bewusst familiär gehaltenen, gleichwohl top-professionell organisierten „Heimspiels Knyphausen“ ist mehr als berechtigt. Neben „Haldern Pop“ (diesmal vom 08. bis 10.08.2024) und dem „Orange Blossom Special“ in Ostwestfalen (lief Mitte Mai) ein Pflichttermin für Festival-Fans, die das Besondere mögen.  Der nächste „Heimspiel“-Termin steht übrigens schon fest – vom 25. bis 27.07.2025 (siehe Facebookseite des Festivals), der Vorverkauf soll Anfang August beginnen.

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