Das Rock’n’Roll-Genie Bob Dylan wird 75
von Gérard Otremba (Beitragsbild: Karsten Jahnke GmbH)
Im Juli 1996 trat Bob Dylan als Special Guest beim Neil Young-Konzert auf der Trabrennbahn in Hamburg auf. Ein Giganten-Treffen, und nicht wenige Zuschauer erwarteten voller Vorfreude einen gemeinsam Auftritt von Dylan und Young, „All Along The Watchtower“, oder wenigstens „Blowin‘ In The Wind“. Doch keine noch so dringlichen Aufforderungen seitens des Publikums halfen, es gab keine gemeinsame Zugabe. Aber so ist das mit der Erwartungshaltung an Bob Dylan. Man sollte einfach keine Erwartungen an ihn hegen, dann wird man schneller positiv von ihm überrascht.
Bob Dylan auf dem Höhepunkt seiner Karriere
Wie zum Beispiel zwei Wochen vorher bei seinem Konzert im Mannheimer Rosengarten. Zwei Stunden schweißtreibender Rock ’n’ Roll, ein enthusiastisches und energiegeladenes Dylan-Konzert wie seit den Mitt-60ern nicht mehr. Und schon damals entzog sich Bob Dylan gekonnt der Vereinnahmung seiner Fans. Auf dem Höhepunkt seiner Folkkarriere knallt er den sensiblen und doch so fundamentalistisch denkenden Folkies beim Newport-Festival die E-Gitarren um die Ohren und verblüfft die Zuhörer mit abstrakten und surrealistischen Texten. Aus der Sicht der Protestgeneration hatte er sich an die Industrie und den Mainstream verkauft, der Preis jedoch war es wert. Mit den Alben „Subterranean Homesick Blues“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“, gerade mal in eineinhalb Jahren veröffentlicht, schuf Dylan drei der wichtigsten und genialsten Werke der Popgeschichte. Alle nachgeborenen Musikfreunde können ihm für diesen Schritt nur dankbar sein.
Die Musik Bob Dylans in den 70er und 80er Jahren
Während wenige Jahre später sich die Welt im Umbruch befand, die Beatles „Revolution“ und die Stones „Street Fighting Man“ veröffentlichten, zog sich Dylan noch vor dem berühmtem Festival nach Woodstock zurück, nahm mit The Band die später nachgereichten „Basement Tapes“ auf, verblüffte die Musikwelt mit den Folk-Historien auf „John Wesley Harding“ und Country-Songs auf „Nashville Skyline“. Auch später ging er unbeirrt seiner Wege, nie absichtlich das Publikum verprellend, sondern immer nach seiner künstlerischen Weiterentwicklung trachtend und unbetretene Pfade ausprobierend. Und wenn es die kurzfristige Hinwendung zum Christentum war, mussten seine Fans Ende der 70er auch damit klar kommen. Großartige Alben gelangen ihm immer noch, das hochsensible und tief emotionale „Blood On The Tracks“ sowie das zigeuner-melancholische „Desire“ allen voran. Wie so viele überlebende Musiker aus den 60ern verschwand Dylan in den 80ern mehr oder weniger in der Versenkung, nur um 1989 mit der von Daniel Lanois produzierten LP „Oh Mercy“ an famose Zeiten anzuknüpfen. Die dichte Atmosphäre dieses Albums erzeugte wieder Gänsehautfeeling und warf mit „Man In The Long Black Coat“, „Most Of The Time“ und „What Was It You Wanted“ an der Spitze auch exzellente Songs ab.
Die „Neverending Tour“ mit grandiosen Konzerten
Es war eine musikalische Auferstehung, die sich auch auf der Bühne bemerkbar machte. Die verhuschten und vernuschelten Konzerte zu Beginn der sogenannten „Neverending Tour“ wichen in den 90er Jahren immer mehr hochkonzentrierten und spielfreudigen Auftritten. In Aschaffenburg 1995 zwar mit 80 Minuten ein viel zu kurzes Konzert, jedoch offenbarte Dylan den Crooner, konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Gesang und das Mundharmonika-Spiel und griff nur selten zur Gitarre. Eine höchst intensive Auseinandersetzung mit seinem Repertoire. Seine Konzert-Hochzeit erreichte Bob Dylan um die Jahrtausendwende. Sein Gig in der Köln-Arena im Mai 2000 steht hier als leuchtendes Paradebeispiel. Mit „Love Sick“, „Cold Iron Bounds“ und „Not Dark Yet“ hatte Dylan drei Songs aus seinem 1997 erschienenen, überaus düsteren und doch so formidablen Album „Time Out Of Mind“ im Gepäck. Die dunkle Seite seiner Songs offerierte Dylan dem Publikum jedoch nicht. Sehr viel akustische Gitarren, Kontrabass und ein dezentes Schlagzeugspiel, Americana-Folk in Perfektion. Mit Larry Cambell, Charlie Sexton, Tony Garnier und David Kemper hatte Dylan die idealen Musiker gefunden, die alte Klassiker mit wie „The Times They Are A Changin‘“, „It’s Allright Ma“, „Mr. Tambourine Man“ oder „Tangled Up In Blue“ mit neuen Rhythmen unterlegten und ihnen einen neuen Geist einhauchten.
Bob Dylan und die Würde des Alterns
Seine kreative Phase bewahrte sich Bob Dylan anschließend nicht nur während zahlreichen Auftritten, sondern auch mit Alben wie „Love And Theft“, „Modern Times“, „Together Through Life“ und „Tempest„. Und stellte plötzlich nebenbei einmal die Woche im Radio auch noch seine musikalischen Vorbilder der 30er, 40er, und 50er Jahre vor. In bester amerikanischer Erzähltradition berichtete Dylan in „Chronicles 1“ aus seinem Leben, wieder einmal brach er mit ungeschriebenen Konventionen, denn mit einer herkömmlichen Autobiographie hatte das natürlich nichts zu tun. Vielleicht reicht es zusammen mit seinen Songtexten doch noch für den Literaturnobelpreis. Bob Dylan zeigt in allen seinen Facetten, wie man als Künstler in Würde altern kann. Sein Schaffensprozeß scheint noch nicht abgeschlossen zu sein. Zuletzt zeigte er sich als Frank Sinatra-Interpret mit den Alben „Shadows In The Night“ und „Fallen Angels“ auf der höhe der Zeit. Und auch die Konzerte der letzten Jahre waren ein Füllhorn an Inspiration, der Stadtpark-Auftritt in Hamburg 2011 ein absoluter Karriere-Höhepunkt, aber auch seine konzertanten Besuche in der Hansestadt 2013 und 2015 hatten Esprit und Charme. Heute, am 24.05.2016, wird Bob Dylan 75 Jahre alt. Und man kann nur hoffen, dass er seine Konzerte und Alben in den kommenden Jahren ähnlich fidel und schöpferisch gestaltet wie in den letzten fünf Jahren.
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