HAM.LIT 2016 – Die lange Nacht junger Literatur und Musik in Hamburg

Die siebte Auflage der HAM.LIT glänzt wieder mit originellen und vielfältigen Texten sowie facettenreicher Musik

Text und Fotos von Gérard Otremba

Seit 2010 existiert die HAM.LIT, die lange Nacht junger Literatur in Hamburg, die sich prächtig entwickelt hat, längst als beliebte Auftrittsmöglichkeit für aufstrebende Literaten und Musiker wahrgenommen wird und den verdienten Zuspruch des Hamburger Publikums erhält. Alle Sitz- und sehr, sehr viele Stehplätze sind besetzt, als die Veranstalter Lucy Fricke und Daniel Beskos pünktlich um 19.30 Uhr die siebte HAM.LIT im Ballsaal des Uebel & Gefährlich eröffnen.

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Den ersten Text des Abends darf die österreichische Autorin Theresa Präauer lesen. Es ist ihr letztjähriger Beitrag zum Bachmannpreis, „Oh, Schimmi“, der den Preis zwar nicht gewann, aber plastisch und ironisch zeigt, wie die Affenwerdung des Mannes funktionieren kann. Für den Bachmannpreis hat es letztes Jahr zwar nicht gereicht, doch ist 1979 geborene Künstlerin bereits u.a. mit dem Aspekte-Literaturpreis und dem Förderpreis zum Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Als Fan eben jenem gibt sich Moderator Alexander Gumz zu erkennen, dem diese Ehrung viel mehr zu bedeuten scheint und der sich zu der provokanten Frage aufschwingt: „Wer ist denn schon diese Bachmann?“ Preis hin oder her, einen formidablen Text hat Theresa Präauer auf jeden Fall geschrieben.

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Ab 20 Uhr müssen bei der HAM.LIT Entscheidungen gefällt werden. Wie bei jedem guten Musikfestival auch, finden die Lesungen nun parallel statt. Die HAM.LIT ist eine Veranstaltung der kurzen Wege. Während im benachbarten Turmzimmer die Lyrikerin Sonja vom Brocke auftritt und im Terrace Hill ein Stockwerk höher im alten Bunker an der Feldstraße Karl Wolfgang Flender aus seinem Debütroman Greenwash Inc. Vorträgt, kommt es im Ballsaal zu der ersten Premierenlesung dieses Abends, denn der mit zahlreichen Auszeichnungen (u.a. Kunstförderpreis Augsburg, Aspekte-Literaturpreis) dekorierte Schriftsteller, Dokumentarfilmer und Journalist Thomas von Steinaecker stellt seinen im März erscheinenden neuen Roman Die Verteidigung des Paradieses vor. Thomas von Steinaecker entführt die Zuhörer in den ihm, wie allen anderen, zustehenden gut 20 Minuten in eine zukünftige Welt nach der „Katastrophe“, in der der 15-jähige Ich-Erzähler Heinz mit „Altwörtern“ wie „Internet“ konfrontiert wird und sein pubertäres Leben meistern muss. Ein Buch, über das demnächst gesprochen wird.

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Anschließend geht um die Ecke ins Turmzimmer, wo Moderatorin Ella Carina Werner die Autorin, Übersetzerin und Lektorin Rasha Khayat ankündigt. Die 1978 in Dortmund geboren Khayat, wuchs in Saudi-Arabien auf, zog mit ihrer Familie im Alter von elf Jahren wieder nach Deutschland und lebt seit 2005 in Hamburg. In Saudi-Arabien spielt ihr ebenfalls im März im Handel erhältlicher Debütroman Weil wir längst woanders sind, in dem die junge Layla sich entschließt, in ihrer alten Heimat Saudi-Arabien zu heiraten. In einem Land, in dem die Frauenrechte nicht ganz so ausgeprägt sind wie in der westlichen Zivilisation, die Musik aber so klingt wie „Britney Spears auf Arabisch.“ Dieses Debüt sollte man näher betrachten.

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Wieder zurück im Ballsaal folgt der erste Musikauftritt der HAM-LIT 2016. Der 29-jährige Songwriter Enno Bunger hat mit seinem Keyboard die große Bühne des Uebel & Gefährlich für sich allein. Er spielt einige beeindruckende Songs (Neonlicht“, „Am Ende des Tunnels“, „Klumpen“) seines im letzten Jahr veröffentlichten dritten Albums Flüssiges Glück, die von nachdenklichen und engagierten Texten leben und ist einer mal lustig, so kommt er im melancholischen Gewand daher („Heimlich“). Man hätte dieser wunderbaren Stimme Bungers gerne länger zugehört, aber auch hier ist nach 20 Minuten leider Schluss.

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Gleich im Anschluss gehört das Lesepodest Monique Schwitter. Die 1972 in Zürich geborene und in der Zwischenzeit in Hamburg sesshafte Schriftstellerin hat es mit ihrer letzten Buchveröffentlichung Eins im Andern auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft und den Schweizer Buchpreis gewonnen. Die vorgetragene Passage aus diesem Liebesroman trägt völlig zu Recht zur Erheiterung des Publikums, zu witzig und teilweise skurril sind die stilistischen und inhaltlichen Ideen Monique Schwitters.

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Einen superben Eindruck hinterlässt gleich danach die Hamburger Songwriterin Lùisa im Terrace Hill. Sie hat eigens ihre Tour unterbrochen, um bei der HAM.LIT auftreten zu dürfen. Allein mit der Gitarre reduziert die erst 22-jährige Sängerin die Elektro-Folk-Songs ihres zweiten Albums Never Own, hier und da unterstützt von einigen mit moderner Technik eingespielten Soundsphären. Bemerkenswert an Lùisa ist neben den filigranen Song-Arrangements ihre ausdrucksstarke Stimme, die mit reichlich viel Soul und Blues getränkt ist und an Jewel in ihren besten Momenten erinnert. Lùisa ist ein Name, den man sich merken muss.

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Nach all den Solisten betritt dann das Duo Talking To Turtles die Bühne des Terrace Hill. Die Sängerin und Keyboarderin Claudia Göhler sowie Sänger und Gitarrist Florian Sievers begannen vor knapp zehn Jahren in Rostock ihre Karriere als Talking To Turtles. Drei Alben brachten sie seitdem auf den Markt, zuletzt Split im Jahre 2014. Es sind zauberhafte, leise, fast gehauchte, sehr fragile Folk-Pop-Songs, die den Charme von Talking To Turtles ausmachen. Die Harmoniegesänge von Göhler und Sievers verleihen den Stücken einen gar lieblichen und romantischen Charakter. Schlicht und ergreifend graziler und schöner Folk-Pop.

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Der Abschluss der HAM.LIT 2016 ist dann dem tschechischen Autor Jaroslav Rudiš vorbehalten. Der in Prag und Berlin lebende Rudiš präsentiert seinen demnächst erscheinenden Roman Nationalstraße, der das Leben eines Prager Ex-Polizisten beschreibt. Einst ein gefeierter Held der Revolution von 1989, gehört er nun zu den Verlieren des neuen kapitalistischen Systems und beweist sich als brutaler Schläger und Trinker. Ein moderner, aufrüttelnder, auf einer realexistierenden Person basierender Roman, der für einige Wogen in der Literaturkritik sorgen sollte. Das perfekte Finale der diesjährigen HAM.LIT, die noch weitere Höhepunkte bot, aber aufgrund der Parallelität der Ereignisse nicht eingefangen werden konnten.

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