Selbstreflektierte Inhalte und großartige Sounds der Rapperin Haiyti
Ich muss gestehen, ich bin Fan. Außerhalb der Zielgruppe stehend und deswegen mit Schwierigkeiten beim Erfassen der textlichen wie musikalischen Inhalte behaftet, aber trotzdem. „Sui Sui“, Haiytis viertes Album seit 2015 nach einem selbstvertriebenem sowie zwei beim Branchenriesen Universal (zuletzt das bei Sounds & Books besprochene „Montenegro Zero“), wird von Warner vertrieben und erscheint bei Haiyti-Records, über die man noch nichts googeln kann. Produziert von Haiyti selbst mit fünf Produzenten (alias Project X), die laut Waschzettel „mit ordentlich Platin an der Wand“ auftrumpfen könnten, dies aber bescheidenerweise nicht tun. Dazwischen gab es noch diverse Mixtapes sowie Kollaborationen, was Haiyti zu einer enorm umtriebigen Künstlerin macht.
Ein Album zu den Themen Verzweiflung, Langeweile und Euphorie
Haiyti fabriziert ihren solitären wie originären Gangsta-Rap um Status mit viel Labels, Kohle und Bling-Bling, jedoch ohne arrogante Überheblichkeit oder Kollegendiss. Dabei singt sie zunehmend; stellt jedoch klar, wo reimtechnisch der Hammer hängt: „Ich rapp‘ nicht viel, doch glaub mal wenn, dann flex‘ ich“ heißt es im Opener „Was hast du damit zu tun“; kurz: „WHDDZT“. Vorhang auf für ein äußerst gelungenes Album zu den Themen Verzweiflung, Langeweile und Euphorie. Gäste dabei sind u.a. der Hamburger Capuz, der auf der Tour 2018 den Einheizer gab (Bericht aus Frankfurt bei Rockstage Riot); der aus dem Haftbefehl-Umfeld bekannte Essener Rapper Veysel oder der Sprachakrobat/das Model Albi X, der den Song „Toulouse“ mit französischen Raps veredelt.
Haiyti und die enorme emotionale Bandbreite
Gefühle also. Vom angetörntem Überschwang (wenig) bis zur emotionalen Verletzung (mehr) kommt da so einiges zwischen den Zeilen ans Licht, wobei diese aus diversen Sprachen sowie linguistischen Eigenkreationen extrem interessant komponiert sind. Haiyti verarbeitet ihren mannigfaltigen Wortschatz mit einer Stimme, die ihre Range weniger in Oktaven misst als in der Fähigkeit, eine enorme emotionale Bandbreite zu illustrieren. Solche selbstreflektierten, jedoch nicht egozentrischen Inhalte gibt es viel zu wenig im zeitgenössischen Hip Hop – und wenn, dann eher bei innovativeren Männern wie z.B. Haftbefehl auf seinem letzten Album.
Haiyti schafft einmal mehr großartige Sounds
Aufgrund der Tatsache, dass Haiyti eine Frau ist; Frauen im deutschen Hip Hop noch nicht so eine Riesenrolle spielen und das ganze Genre patriachalisch verseucht ist, könnte man dieses Album vergleichen mit den Werken von z.B. Sookee oder Juju, die ihre eigene feministische Agenda verfolgen und dabei großartige Töne produzieren; aber, wozu? Haiyti liefert mal wieder in Rekordzeit, schafft einmal mehr großartige Sounds wie Stories zwischen Trap und vor allem Pop und sollte dafür den Spagat schaffen zwischen Street-Credibility und Feuilleton. Ups, tut sie ja bereits, wie diverse Stories (z.B. als erster weiblicher Coverstar im Hip Hop-Referenzblatt Juice sowie im Rolling Stone) bewiesen. Einen Echo gab es auch schon (2018). Fehlt nur noch, dass mehr Menschen solche wunderbaren Alben kaufen.
„Sui Sui“ von Haiyti erscheint am 03.07.2020 bei Haiyti Records / Warner Music. Beitragsbild: Albumcover
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