Haiyti: Speed Date – Albumreview

Haiyti Credits William Minke

Eine Woche mit Haiytis „Speed Date“ verbracht – hier nun das Protokoll einer Evolution

Jetzt mal ernsthaft: Ich denke nicht, dass potenziell Interessierte an einem neuen, weiteren Haiyti (Doppel-) Album darauf warten, was dieser alte Metalfan mit zerschundenem Gehör hier (mal wieder) dazu zu sagen hat. Haiyti macht Musik für Menschen, die anders leben, fühlen oder hören als ich. Und die vor Allem viel, viel jünger sind.

Mir war das in der Vergangenheit immer ziemlich egal. Schließlich werde ich, wenn überhaupt, sowieso nur gelesen von Menschen, die in der Regel das ungefähre Alter mit mir teilen – das Geschlecht zumeist ebenso. Menschen, für die „handgemacht“ bei Musik als Qualitätsurteil durchgeht – ungeachtet der Tatsache, dass man Sequenzer oder Loop-Stationen schließlich nicht mit anderen Körperteilen spielt als Gitarren, Bässe oder Drums. Ich habe jedoch nun mal Spaß daran, Haiytis Musik sowie ihre Wortspiele und Zustandsbeschreibungen zu hören und deswegen weiterzuempfehlen. Könnte ja sein, dass es innerhalb meiner Peer-Group jemanden gibt, dem Haiyti vorher nicht bekannt war und ihr Zeug ebenso feiern kann wie ich. Wunder gibt es immer wieder.

Ein todschicker Move

Haiyti Speed Date Cover Hayati Records

Doch diesmal, bei Haiytis siebtem Studioalbum sowie Drittem in zwölf Monaten, fällt mir das zunächst etwas schwer. Das hat verschiedene Gründe, nicht alle sind bei mir zu finden. Klar spielt es eine Rolle, wenn kein Textblatt durch die 25 Stücke führt: Die Sprache Haiytis sowie ihrer Feature- Gäste (einige sind Protegés von ihrem eigenen Label Hayati-Records) muss von antiken Gestalten wie mir erarbeitet werden, das geht nicht so von jetzt auf gleich und erfordert diverse Abspielungen.

Dass Gäste wie Dr.Sterben (in „Nur Medizin“) dabei die Zähne kein Stück auseinander zu bekommen scheinen ist dabei wenig hilfreich. Wahrscheinlich ist das jedoch ein in Subszenen gebräuchlicher, todschicker Move, den ich alter Sack nur nicht verstehe. Macht nichts, bin ja nicht der Adressat hier. Dass die neuesten beschriebenen Auf und Abs ihrer Lebenswelt weniger überraschen hat aber auch etwas zu tun mit einer gewissen Beliebigkeit, die auf dem Album vorzuherrschen scheint. 25 Stücke, kaum eines länger als drei Minuten, ein Knaller könnte also den nächsten jagen. Danach sieht es zum Wochenanfang in meinen Ohren jedoch nicht aus, obwohl „Sterben“, zum Beispiel schon verstörend fasziniert (hatte allerdings Vorsprung, weil als Single bereits vorveröffentlicht).

Ist „Speed Date“ gegenüber den Vorgängeralben eher zu vernachlässigen?

Es könnte durchaus noch passieren, dass neue Erkenntnisse den Raum im Kopf fluten – der Knoten platzt ja oft später. Nach einigen Durchläufen brennen sich einige Stücke fester ein: Vor allem in der ersten Albumhälfte hocken die Werke, die zunehmend zwingender zur Bewegung verführen und sich als Ohrwürmer breitmachen. „Hundertzehn“ feat. Caney pumpt gnadenlos und wird anschließend vom melancholischen „Philipp Plein“ feat. Kid Trash kontrastiert – das ist inhaltlich nicht neu, aber großartig in Szene gesetzt, mal wieder. Überhaupt, die Gäste: vom „angenehmen Bild von Männlichkeit“ (SZ) Sly Alone bis zum Ex-Dealer Kaisa Natron wird die ganze Bandbreite Haiytis unterstützt: Drogen, Rausch, Exzess, Hangover sowie immer wieder große Gefühle. „Für mich ist die Gosse Entertainment“ bringt sie ihre Botschaft wenig überraschend in „Entertainment“ auf den Punkt und man mag sich deswegen abwenden, desinteressiert oder gar genervt. Oder eben fasziniert zuhören.

Haiyti verdient einen Award

Noch ein paar Durchgänge mehr und alles, was im hinteren Teil der Platte rumkreucht, nimmt langsam Gestalt an. Der Hangover, die Sehnsucht sowie die Selbstreflexion dominieren, die Dramaturgie ist also wie immer. „Warum bin ich nur wie ich bin?“ fragt sie in „Drama“ und lässt dabei keinen Zweifel an der Tatsache, dass sie „ein(en) Award verdient“ hat trotz allem. Wie will man da widersprechen angesichts der sich hier offenbarenden Hitdichte, die wohl (mal wieder) an den Charts vorbeischrammen wird. Momentaufnahmen aus Haiytis Lebenswelt, hektischer rausgehauen und ohne das Popkonzept, das „Montenegro Zero“ einst Props einbrachte vom Rolling Stone. Haiyti kann nichts nicht-verwerten, gestand sie einst Jan Müller (Tocotronic) in seinem Podcast Reflektor, so erklärt sich ihr enormer Output. Nicht erklärt wird dadurch dessen Klasse sowie die anhaltende Kaum-Beachtung der Musikkonsumierenden.

In „Burberry Money Clip“ versammelt sie ihre Gäste nochmal zur gemeinsamen Party kurz vor Schluss, der Kater ist überstanden, weiter geht’s. „Gabba“ macht den Sack zu im fröhlichen Duett mit ihrem Insta-Alter Ego Bebi Cool. Dazwischen offenbaren sich mit „Wunder“ sowie „Bevor es endet“ nach vielen Durchläufen die nachhaltigsten Kleinode, die alle Weisen deutscher Befindlichkeitspoeten als Schlagernullnummern auf die hintersten Ränge weisen.

Haiyti herrscht. Das wissen nur zu wenige

Nein, „Speed Date“ ist also keinesfalls zu vernachlässigen – auch nicht, wenn der Rest ihres Œuvres bereits im Schrank steht. Nach mehrmaligem Hören entpuppt sich „Speed Date“ als Spitzenalbum und Haiyti entwickelt sich mehr und mehr zur deutschen Queen of Pop. Wird Zeit, dass sich das endlich mal mehr rumspricht.

„Speed Date“ von Haiyti“ erscheint am 03.12.2021 bei Hayati Records. (Beitragsbild von William Minke)

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