Gregor Hens: Missouri – Roman

Gregor Hens (c) Milena Schlösser

Mit dem Roman „Missouri“ wird Gregor Hens ein Kandidat für den Deutschen Buchpreis

Seinen Roman „Himmelssturz“ lobte die Literarische Welt als „das beste Debüt des Jahres“. „Himmelssturz“ erschien im Jahr 2002 und war in der Tat ein mehr als hoffnungsvolles literarisches Erstlingswerk des 1965 in Köln geborenen Autors und Übersetzers, der inzwischen Bücher von Leonard Cohen, Jonathan Lethem, Will Self und Kurt Vonnegut ins Deutsche übertragen hat. Ein durchschlagender Erfolg blieb Hens jedoch sowohl mit „Himmelssturz“ als auch mit seinen folgenden Werken – zuletzt kam 2011 „Nikotin“ bei S. Fischer heraus – verwehrt. „Himmelssturz“ wäre prädestiniert für den Deutschen Buchpreis gewesen, allein wurde diese Auszeichnung leider erst 2005 zum ersten Mal verliehen. Möglicherweise überzeugt Gregor Hens die Jury dieses Jahr mit „Missouri“, seinem neuen literarischen Coup, dessen Plot wie in „Himmelssturz“ in den USA angesiedelt ist.

On the road Richtung Westen

Gregor Hens Missouri Buchcover Aufbau Verlag

Der 23-jährige Karl geht im Sommer 1989 nach St. Louis, Missouri, um am dortigen Columbia-College die deutsche Sprache zu lehren. Trotz Verbotes lässt er sich als Dozent auf eine Liaison mit der vier Jahre jüngeren Studentin Stella ein, die die wundersame Gabe der Levitation, also eines leichten Schwebens, beim Gefühl des Glücklichseins besitzt. Allerdings übt Stellas noch sehr junge Mutter Janet, eine anerkannte Lyrikerin, auf Karl ebenfalls eine für den Fortlauf der Geschichte wesentliche wie tragische Anziehungskraft aus. Mit Stella indes geht es während der vorlesungsfreien Zeit on the road Richtung Westen bis hin nach Berekely, Kalifornien. Gregor Hens verknüpft in „Missouri“ zwei Ebenen. Zunächst die persönlich-private Beziehungsgrundlage Karls, die an Motive des Romans „The Graduate“ von Charles Webb – bekannt geworden durch die Mike Nichols-Verfilmung „Die Reifeprüfung“ – erinnert, sowie die politisch-gesellschaftliche Seite.

Das Sehnsuchtsland Amerika

Karl befindet sich in den USA als die Mauer fällt. Er kehrt für einige Tage zurück nach Deutschland, bereist die noch existierende DDR und zeigt sich skeptisch gegenüber der Wende. Eine Aufbruchstimmung erzeugt diese in ihm nicht, ein Leben im vereinten Berlin kommt für ihn nicht in Frage, zu sehr sitzen die Stacheln seines unglücklichen gymnasialen Internatsaufenthalts am Niederrhein in den miefigen 80er-Jahren. Karl lässt Deutschland in den USA hinter sich – mit dem gemeinsamen Vornamen eine weitere Parallele, die ihn mit Franz Kafkas „Amerika“-Protagonist Karl Roßmann verbindet. Amerika wird also auch bei Gregor Hens zum mythischen Sehnsuchtsland, ein Rettungsanker, von dem Karl sich mehr erhofft, als das Leben, das ihm Köln bis dahin bieten konnte. Karl selbst wiederum wird zum Rettungspunkt für Janet, die Trost über ihre gescheiterte Ehe in der kurzfristigen Affäre mit dem Freund ihrer Tochter sucht. Nach dem Verrat an Stella bleibt Karl nur die Flucht nach Berkeley.

Der hervorragende Erzähler Gregor Hens

Gregor Hens erzählt den autobiographisch gefärbten Roman aus der Ich-Perspektive Karls, nachdem dieser Jahre nach den damaligen Geschehnissen eine Mail Stellas mit der Nachricht von Janets Tod erhält. Diese Distanz im Rücken ermöglicht Karl einen detaillierten und differenzierten Blick auf den zurückliegenden Lebensabschnitt. Hens beweist sich auch mit seinem neuen Roman als einer der hervorragendsten realistischen Erzähler des Landes, dessen Plot in „Missouri“ zwischen herzergreifender Liebesgeschichte, philosophischen und wissenschaftlichen Exkursen sowie gesellschaftspolitischer Relevanz changiert. Ein intelligent aufgebauter, in Sepiafarben getauchter Entwicklungsroman und so charmant wie das Schweben Stellas.

Gregor Hens: „Missouri“, Aufbau Verlag, Hardcover, 284 Seiten, 978-3-351-03758-1, 22 € (Beitragsbild von Milena Schlösser).    

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