Grégoire Hervier: Vintage – Roman

 

Auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Vintage-Gitarren

„Ohne das geringste Zögern entschied ich mich für den Highway 61 Richtung Süden, nach Mississippi.“ Die Alternative für Thomas Dupré wäre Arkansas gewesen, doch die stellt sich für einen 25-jährigen Gitarristen nicht wirklich. Die Fahrt auf einem Highway, nach dem der große Meister Bob Dylan einst eines seiner besten Alben benannte, ist für einen Musiker natürlich Pflicht, wenn er schon mal in der Nähe ist. Doch was macht der Franzose Thomas Dupré eigentlich in Memphis, Tennessee, von wo ihn der Highway 61 nach Mississippi bringen soll? Seine Karriere als Musiker stagniert, als Musikjournalist schlägt er sich mehr schlecht als recht durchs Leben und hilft im Pariser Gitarren-Laden Prestige Guitars als Verkäufer aus.

Ein Geschäft voller edler Gitarren („…Waffen, an denen noch das Blut der Revolution klebte.“) und eines Tages kauft ein gewisser Lord Charles Winsley telefonisch das beste vorhandene Stück von Prestige Guitars, eine Goldtop Les Paul aus limitierter Auflage, eine persönliche Übergabe der Gitarre voraussetzend, Geld online überwiesen. Zwar wollte Winsley eigentlich Duprés Chef Alain de Chévigné, der sich durch sein Buch „Die Gitarren der Pop-Generation“ als Fachmann einen Namen gemacht hat, auf seinem schottischen Anwesen sehen, doch der schickt Thomas Dupré auf die Reise. Dieser steht plötzlich vor dem Boleskine House in Loch Ness, einem Landhaus, das einst dem Led Zeppelin-Gitarristen Jimmy Page gehörte und in dem nun besagter, in einem Rollstuhl sitzender Lord Charles Winsley residiert, der Dupré eine beachtliche Gitarrensammlung präsentiert, deren Herzstück, die Gibson Moderne, ihm jedoch angeblich von seinem Angestellten, einem alkoholkranken und hoch verschuldeten Gitarrenbauer, der alsbald tot aufgefunden wird, gestohlen worden ist.

Sounds & Books_Pressebild_Vintage-Diogenes-VerlagAngeblich insofern, als um die Existenz dieser Gitarre ein Mythos herrscht, da 1957 wohl ein Prototyp erstellt, das gute Teil aber scheinbar nie für den Verkauf produziert wurde und erst 1982 in einer gefloppten Neuauflage auf den Markt gelangte. Um die Versicherungssumme zu kassieren, beauftragt Winsley Thomas Dupré für einen Finderlohn von 1 Million Dollar, einen Beweis für die Existenz der Moderne von 1957 zu erbringen. Sein Weg führt ihn über Australien in die USA, wo er in Memphis auf einen reichlich durchgeknallten Elvis Presley-Imitator trifft und auf die Spur des unbekannten Avantgarde-Blues-Rock-Künstlers Li Grand Zombie Robertson stößt, der Ende der 50er-Jahre (vielleicht mit Hilfe der Gibson Moderne?), einen revolutionären Sound entwickelte, der den bluesgetränkten Heavy Metal von Black Sabbath andeutete und Dupré in puncto Beweisstück immer näher an sein Ziel bringt.

In seinem dritten Roman Vintage spielt der 1977 geborene französische Autor Grégoire Hervier spielerisch leicht mit zahlreichen Mythen der Rock’n’Roll-Geschichte. Detailliert, aber nicht übertrieben ausufernd,  taucht er in die Historie des die Welt radikal verändernden Musikstils ein, dessen Vorläufer Hervier bis ins Jahr 1928 datiert. So verwundert es nicht, dass der Blues-Musiker Robert Johnson, der zwischen 1911 und 1938 lebte (und somit unfreiwillig und nichtsahnend zum Gründer des 27er-Clubs wurde und dessen Legendenbildung besagt, er habe seine Seele dem Teufel verkauft, um ein begnadeter Gitarrist zu werden) und als einer der einflussreichsten Künstler der Musikszene gilt, eine zentrale Rolle in Herviers Roman einnimmt. Vintage ist ein kurzweiliger Spannungsroman, gleichzeitig Roadnovel und eine Einführung in die Ursprünge des Rock’n’Roll. Ein großer Genuss für alle Rockmusikliebhaber (und die es mal werden wollen), versehen mit zahlreichen Vintage-Gitarren, aber erzählt in einem modernen Sound.

Grégoire Hervier: „Vintage“, Diogenes, aus dem Französischen von Alexandra Braisch und Stefanie Jacobs, Hardcover, 400 Seiten, 978-3-257-07002-6, 24 €.

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