Gert Möbius: Halt dich an deiner Liebe fest – Rio Reiser Biographie

Eine persönliche und bewegende Rio Reiser-Biographie seines älteren Bruders Gert Möbius

von Gérard Otremba

Als Rio Reiser am 20.08.1996 starb, verließ einer der wichtigsten, prägendsten und schillerndsten deutschen Musiker diesen Planeten. Der Sänger und Texter von Ton Steine Scherben, der mit Polit-Rock-Songs wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, „Die letzte Schlacht gewinnen wir“, oder „Der Traum ist aus“ den Soundtrack für die linke Szene der frühen 70er Jahre schrieb und in die Geschichte einging, wurde leider nur 46 Jahre alt. Nach dem Ende der kommerziell erfolglosen Scherben reüssierte Rio Reiser in den 80ern zum „König von Deutschland“ und bewegte die Zuhörer mit „Junimond“. Was haben wir geweint.

Pünktlich zu Rio Reisers zwanzigsten Todestag ist die Biographie Halt dich an deiner Liebe fest seines älteren Bruders Gert Möbius erschienen. Bereits auf Seite 23 teilt Möbius den Lesern mit, dass es ihm schwer fiele, „die Geschichte geradlinig zu erzählen“. Nun springt Gert Möbius auch nicht wahllos durch die Jahre. Das Leben seines Bruders Ralph Möbius (den Namen Rio Reiser legte er sich Ende der 70er zu Beginn seiner Schauspielerkarriere zu) erzählt der 1943 geborene Ex-Manager der Scherben und Drehbuchautor durchaus chronologisch. Seine abschweifenden Anekdoten porträtieren vielmehr die bemerkenswerte Familie Möbius. Zwar steht Rio Reiser im Mittelpunkt, doch erfahren die Leser viele Details aus dem Leben der Eltern, des ältesten Bruders Peter und natürlich über Gert Möbius selbst.

Möbius erzählt flott, unterhaltsam, häufig mit einer Spur Selbstironie, so dass Halt dich an deiner Liebe fest zu einer überaus angenehm zu lesenden Lektüre wird. Aufgrund des engen Verwandtschaftsverhältnisses ist es natürlich eine sehr persönliche Rio Reiser-Biographie geworden, wer möchte das dem Autor verdenken. Die Liebe war Rio Reisers allumfassende Triebfeder des Lebens. Viel mehr als das von außen projizierte Bild des linken Vorreiters, war Rio Reiser sein Leben lang auf der Sinnsuche, künstlerisch wie privat, was als in der Öffentlichkeit stehender, bekennender Schwuler in den 70er Jahren schwierig genug war. Um die bestmöglichen Einblicke in Rio Reisers Innenleben zu gewähren, hat sich Gert Möbius nach langem Überlegen dazu entschlossen, bislang unveröffentlichte Tagebucheinträge Rio Reisers, die die zeitliche Periode von Dezember 1972 bis September 1974 umfassen und in denen die ganze Zerrissenheit Reisers offenbar wird, en bloc abzudrucken.

Bekenntnisse wie „Was ist mit mir los. Ich schwimme noch. Ich soll das große Wasser überqueren, sagt das I-Gig. Aber ich schwimme noch, ich habe noch keinen festen Boden, bin auch noch unruhig und unsicher und misstrauisch  und unzufrieden mit mir selbst“, oder „Irgendwie kommts mir vor, als ob irgendwas zerbrochen ist. Vielleicht wars was Gutes, vielleicht was Schlechtes. Vielleicht werde ich kälter, vielleicht heißer davon. Ich hab so viel gesoffen und geraucht die letzte Zeit, dasn Trip sich kaputt zu machen, ich weiß. Es muss anders laufen“, und „Mein Ziel ist die Liebe, das ist es, was ich suche. Liebe, frag mich, was es ist. Ich weiß es nicht (…) Wer sucht, von Herzen sucht, mit allen Kräften sucht, sie immer sucht, der wird sie finden. Das glaube ich. Ich weiß es noch nicht – es ist wie eine lange Strecke durch die Wüste, kaum noch Wasser. Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ zeigen die Zärtlichkeit und die Romantik, die abseits des bekannten Agit-Rock-Musikers in Rio Reiser steckten.

Und einen Hauch von Wehmut, der sich durch die ganze Biographie zieht, man lese nur Möbius‘ Schilderungen der intensiven 70er-Jahre in Berlin und Fresenhagen. Man kann Halt dich an deiner Liebe fest so zügig wie einen fesselnden Roman lesen, sollte jedoch die Tiefenschärfe nicht außer Acht lassen. Und sollte man Rio Reiser sowieso nicht viel öfter gedenken? Sein Bruder hat es getan, mit Halt dich an deiner Liebe fest können alle anderen es auch.

Gert Möbius: „Halt dich an deiner Liebe fest – Rio Reiser“, Aufbau Verlag, Hardcover, 351 Seiten, 978-3-351-03627-0, 22,95 €.

 

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