Geballte Kriminalistik: 4. Hamburger Krimifestival im Kampnagel

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von Gérard Otremba

Zum vierten Mal luden das Hamburger Literaturhaus, die Buchhandlung Heymann sowie das Hamburger Abendblatt zum Krimifestival ein. Eine Woche lang, vom 1. bis zum 6. November 2010, lasen deutsche und internationale Krimiautoren im Kampnagel aus ihren Werken. Fielen die ersten drei Hamburger Krimifestivals noch durch verschiedene Lesestandorte auf, so war Harald Butz, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Buchhandlung Heymann sowie Moderator zweier Lesungen, froh, „endlich einen einheitlichen Ort“ für die Veranstaltung gefunden zu haben. „Hier trifft man sich nach einer Lesung noch zu einem Getränk und kann auch gemütlich auf die nächste Lesung warten“, fällt sein positives Fazit aus.

Internationale und nationale Krimiautoren: Von Val McDermid bis Ingrid Noll

Eine wesentliche Erleichterung für alle Hamburger Krimifreunde, blieben ihnen zeitaufwendige Stadtortwechsel diesmal erspart. Und sie sind wieder verwöhnt worden, die Mord- und Totschlagfans. Renommierte und weltweit bekannt Autoren wie Jilliane Hoffman, Val McDermid, John Katzenbach, Deon Meyer und Ake Edwardson gaben sich die Klinke in die Hand. Aber selbstverständlich war auch die deutsche Krimiriege durch prominente Namen wie Ingrid Noll und Ulrich Wickert vertreten.

Jan Seghers und sein Hauptkommissar Robert Marthaler

Auch Jan Seghers, den Literaturkennern unter dem Namen Matthias Altenburg bekannt, nutzte das Forum, um seinen Frankfurter Hauptkommissar Robert Marthaler dem Hamburger Publikum näher zu bringen. Der geneigte Krimileser kennt die Figur des kauzigen Robert Marthaler bereits durch die ersten drei vorzüglichen Bände „Ein allzu schönes Mädchen“, „Die Braut im Schnee“ und „Partitur des Todes“. Und wer nicht, der sollte dies unbedingt nachholen. Im vierten, dieses Jahr bei Wunderlich erschienen Fall „Die Akte Rosenherz“, muss der gutherzige, aber oft auch eigenbrötlerische Marthaler einen erneuten schweren privaten Schicksalsschlag hinnehmen: Seine schwangere Lebensgefährtin Tereza wird bei einem Überfall auf einen Gemäldetransport durch eine Kugel schwer verletzt. Wegen Befangenheit von den Ermittlungen ausgeschlossen, recherchiert Marthaler privat und stößt bald auf die Spur eines wahren und ungeklärten Mordes an einer Frankfurter Prostituierten aus dem Jahre 1966. Virtuos verknüpft Seghers diese beiden Fälle zu einem dichten, gesellschaftsbeschreibenden und selbstverständlich mit viel Frankfurter Lokalkolorit versehenen Roman. Souverän und routiniert las Seghers aus seinen Manuskriptseiten, in denen er zur Erhöhung des Spannungsbogens einzelne Kapitel ineinander fließen ließ.

Der deutsche Wallender und die skandinavischen Krimis

Gerne, und nicht ganz zu Unrecht, wird Marthaler als der deutsche Wallander bezeichnet. Und obwohl Jan Seghers seinen schwedischen Kollegen Henning Mankell im Gespräch mit Moderator Volker Albers nicht als „Vorbild“ bezeichnet, so billigt er ihm doch eine große Bedeutung sowohl für sein eigenes Leseverhalten als auch für die europäische Krimizunft ein. Denn im Gegensatz zu der lakonischen Sicht- und Schreibweise amerikanischer Krimiautoren sieht sich Seghers doch eher in der Tradition des kritischen Realismus der Skandinavier, deren große Vorreiterromane von Sjöwall / Wahlöö er früher „verschlungen“ habe. Und genau in dieser Tradition entfaltet Jan Seghers seine Stärken: harte Recherchearbeit, liebevolle Ausarbeitung der einzelnen Charaktere, gesellschaftsrelevante Themen und der superbe Spannungsaufbau. Interessant zu erfahren, dass Jan Seghers keine Kriminalromane anderer deutscher Autoren liest, einfach aus Angst, diese könnten „an gleichen oder ähnlichen Themen schreiben“. Verständlich aus Autorensicht, höchst bedauerlich insofern, als dass ihm ganz wunderbare Krimis wie zum Beispiel von Christian von Ditfurth, Ulrich Ritzel oder Wolfgang Schorlau entgehen.

Georg Dengler, ein Detektiv in Stuttgart

Der in Stuttgart lebende Autor Wolfgang Schorlau stellte dem Hamburger Publikum seinen bereits fünften Kriminalroman vor. „Das München-Komplott“ rollt den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest von 1980 neu auf. Der Privatermittler Georg Dengler wird vom Bundeskriminalamt, seinem ehemaligen Arbeitgeber, gebeten, die Akten der damaligen Sonderkommission Theresienwiese zu prüfen. Und selbstverständlich findet Dengler mehr als genug Ungereimtheiten, um in die Machtkämpfe von Staat und Politik hineingezogen zu werden. Nach einem eher verhuschten Vorlesung des Prologs taute Schorlau beim zweiten Vortrag sichtlich auf und gab Dengler und dessen Freund Martin Klein während eines witzigen und schlagfertigen Dialogs die nötigen und passenden Stimmen. Schorlaus Krimis leben nicht allein von ihrer Spannung, sondern auch von den teils aus dem Autorenumfeld stammenden und sehr pointierten Figuren. In seinen Dengler-Romanen befasst sich Wolfgang Schorlau, der deutsche Krimipreisträger 2006, bisher sind bei Kiepenheuer & Witsch folgende Titel erschienen: „Die blaue Liste“, „Das dunkle Schweigen“, „Fremde Wasser“ und „Brennende Kälte“, mit der Nachkriegsgeschichte Deutschlands.

Wolfgang Schorlau und der Politkrimi

„Finden und Erfinden“ lautet sein den Romanen angehängtes Nachwort und es scheint sehr viele Unstimmigkeiten im der ach so heiligen deutschen Demokratie zu geben. Sein „Schnüffeln“ hat ihm schon Morddrohungen beschert und auch der Recherche-Tipp zum letzten Roman ist schon ein Krimi allein, wurde er doch von einer unbekannten Person angerufen, wohl eine Polizistenstimme, und unter strengster Geheimhaltung zur Einsicht besagter Akten gefahren. An Themen wird es Wolfgang Schorlau, der sich aktiv gegen „Stuttgart 21“ einsetzt und als Herausgeber des demnächst erscheinenden Buches „Stuttgart 21 – Die Argumente“ in Erscheinung tritt, sicherlich auch in Zukunft nicht fehlen. Das kann man ihm nur wünschen, denn seine Politkrimis aus Stuttgart sind nur zu empfehlen und es benötigt definitiv Autoren wie Schorlau, die bei den Mächtigen immer mal wieder auf den Busch klopfen. Sein nächstes Buch ist in Arbeit, der Krimi-Fan freut sich.

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