Gaz Coombes: Turn The Car Around

Gaz Coombes Pressefoto Hot Fruit Recordings

Der einstige Front-Clown von Supergrass als vornehm gereifter Songwriter: Gaz Coombes zeigt den Gallagher-Brüdern, wie man die Kurve kriegen kann.

Mal ehrlich, so richtig ernst musste man als Britpop-Fan der 90er-Jahre das Oxforder Trio Supergrass nicht immer nehmen. Sänger und Gitarrist Gaz Coombes, Bassist Mick Quinn und Drummer Danny Goffey machten zwar auf ihrem Debüt „I Should Coco“ (1995) und dessen Nachfolger feinen Radau zwischen Punkpop und Glamrock – sie wirkten mit ihrem oft albernen Benehmen und dem schrägen Pilzkopf/Koteletten-Look jedoch eher wie die Klassenclowns des Sub-Genres. Wer sich seitdem nicht mehr mit Supergrass befasst hat, dürfte nun umso erstaunter sein über das neue Soloalbum ihres Ex-Frontmanns.

Ein Musterbeispiel für altersgemäße Reifung

Gaz Coombes Turn The Car Around Cover Hot Fruit Recordings

Im Gegensatz etwa zu den Oasis-Streithähnen Liam und Neil Gallagher, denen bis heute auch mit ihren Band- oder Soloprojekten und ihren rüden Äußerungen etwas Britpop-Nostalgisches und Nervig-Prolliges anhaftet, ist Gaz Coombes mit „Turn The Car Around“ ein Musterbeispiel für altersgemäße Reifung gelungen. Und das eigentlich auch nicht zum ersten Mal, wenn man genauer hinschaut: Schon das selbstbetitelte dritte und beste Supergrass-Werk von 1999 (voriges Jahr als lohnend erweiterte Remaster-Version neu aufgelegt) hatte ja einen riesigen Entwicklungssprung des Trios um Coombes gezeigt. Und seine Solojahre seit dem ohne großes Bohei vollzogenen Band-Split (2010) waren mit mindestens soliden Songwriter-Pop-Platten ebenfalls aller Ehren Wert.

Gaz Coombes zwischen Scott Walker, David Bowie und Prince

„Turn The Car Around“ begeistert nun – ähnlich überraschend wie das jüngste Meisterstück „The Car“ der Arctic Monkeys – mit opulentem, teilweise im besten Sinne bombastischem Adult-Pop. Wer denkt beim Opener „Overnight Trains“ nicht an die gewaltigen Endsechziger-Epen von Scott Walker oder an Coombes‘ Vorbild David Bowie? Auf dem anschließenden „Don’t Say It’s Over“ hält der mittlerweile 46-Jährige diesen Kurs und beweist zudem mit einigen kurzen, prägnanten Soli, dass er zu den besten Gitarristen der Britpop-„Class of 95“ gehört. Danach wird’s auf dem lässig dahergroovenden „Feel Loop (Lizard Dream)“ funky, man denkt unwillkürlich an einen kleinen, genialen, leider schon seit fast sieben Jahren toten Mann aus Minneapolis.

„Auf Wiedersehen“? Aber gern!

Wer sich in seinen Songs auf Ikonen wie Bowie oder Prince bezieht, könnte leicht als Epigone abgetan werden. Doch dafür sind die neun Tracks auf „Turn The Car Around“ bis hin zum melancholischen Closer „Dance On“ einfach viel zu abwechslungs- und einfallsreich komponiert und produziert. Die im Vergleich zu den juvenilen Supergrass-Anfängen ebenfalls toll gealterte Stimme des Engländers tut ein Übriges, um hier einen enormen kreativen Entwicklungsprozess festzustellen.

„Auf Wiedersehen“ singt Coombes einmal auf Deutsch (im tatsächlich an beste Supergrass-Zeiten erinnernden Song „Long Live The Strange“). Ja, man freut sich als Nineties-Britpop-Fan der ersten Stunde nun erst recht auf ein dauerhaftes Wiedersehen/Wiederhören mit dem erwachsenen Gaz. Die ewigen Manchester-Lads Liam und Neil sollten sich dieses Album mal in Ruhe anhören, vielleicht hält es ja auch für ihre Post-Oasis-Entwicklung wertvolle Hinweise bereit.

„Turn The Car Around“ von Gaz Coombes erscheint am13. Januar 2023 bei Hot Fruit Recordings / Virgin Music. (Beitragsbild: Pressefoto)

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