Gaz Coombes live in Berlin 2023

Gaz Coombes live Berlin 2023 Hole 44 by Werner Herpell Sounds & Books

Sein Konzertpublikum mag kleiner geworden sein seit den legendären Supergrass-Zeiten – seine Bühnenausstrahlung jedoch nicht: Mit einem grandiosen Gig in Berlin beweist Gaz Coombes, dass seine Musik als Solo-Künstler auch live bestens funktioniert.

Text und Fotos von Werner Herpell

Zuerst kommt die Band auf die Bühne, mit vier Musikern und drei Sängerinnen fast zu groß für den recht überschaubaren Neuköllner Club Hole 44. Dann steht er da mit seiner respektablen Körpergröße und wildem Blick: Gareth Michael „Gaz“ Coombes, einst Frontmann bei Supergrass, einer der besten Bands des 90er-Jahre-Britpops. Immer noch eine beeindruckende Erscheinung, diesmal mit dezenter blauer Jacke nebst weißem Hut. Und ein fantastischer Live-Musiker, wie er fortan fast zwei Stunden lang beweist.

Gaz Coombes mit Spielfreude und Charisma

Der Berliner Gig des drei Tage zuvor auf Deutschland-Tournee 47 Jahre alt gewordenen Gitarristen und Sängers am 11. März 2023 dürfte zu denen gehören, an die

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sich ein restlos begeistertes Publikum noch lang erinnert. Die Zeiten, als Coombes im Supergrass-Trio deutlich größere Clubs der Hauptstadt anzündete, mögen zwar schon lange vorbei sein (dieser Autor erlebte so ein Event vor 24 Jahren am Prenzlauer Berg mit) – die Spielfreude und das Charisma des edel gereiften Briten und seiner neuen Band sind aber mindestens ebenso ansteckend.

Nach einem überaus herzlichen, vielversprechenden Support-Auftritt der jungen österreichischen Indiepop-Musikerin Lauringer gehen Coombes und seine bunte Truppe gleich in die Vollen mit „Needle’s Eye“, einem Song aus dem 2015er Soloalbum „Matador“. Der Zugriff auf den gut gefüllten, leider nicht ganz ausverkauften Club gelingt sofort – man merkt, dass hier viele Fans mit ihrem Gaz gealtert sind und auch das seit 2012 vier starke Platten umfassende Solo-Werk bestens kennen.

Gaz Coombes in allen Facetten

Die neue Scheibe „Turn The Car Around“ stellt einen Höhepunkt in Coombes‘ Karriere dar – und wird im Laufe der 110 Konzertminuten fast vollständig gewürdigt. Eine gute Entscheidung. Denn diese Lieder repräsentieren den Songwriter Gaz Coombes in all seinen Facetten durchweg in Bestform: ambitioniert (aber nie epigonal) zwischen großen Vorbildern wie David Bowie, Scott Walker, Marc Bolan, John Lennon oder Prince hin und her springend, hochmelodisch, funky, voller Spielfreude.

All dies gilt auch für das Berliner Konzert – und selten sieht man zudem eine Band, in der ein berühmter Frontmann so freundlich und auf Augenhöhe mit seinen Bandmusikern interagiert wie hier. Ein zweiter Gitarrist, ein Bassmann, ein Schlagzeuger und ein Keyboarder erzeugen zusammen mit Coombes an der Akustischen oder der Elektrischen eine mächtige Wall of Sound – dass die Grandezza der Studioproduktion von „Turn The Car Around“ in einem Clubkonzert noch getoppt wird, war nicht unbedingt zu erwarten.

The Roxys begeistern mit Working-Class-Charme

Großen Anteil daran haben The Roxys, ein Trio von Background-Sängerinnen: optisch unglamourös wie einst im ikonischen Musikfilm „The Commitments“ (1991), so als wären sie im Pub um die Ecke gecastet worden, runden die drei Damen mit ihren Vocals den Sound perfekt ab – ganz abgesehen vom sympathischen Working-Class-Charme. Gaz Coombes streift dann mit seinen sieben Begleitern und Begleiterinnen durch ein inzwischen beachtlich breites Solo-Repertoire – Supergrass-Songs werden nicht geboten und überraschenderweise auch nicht ernsthaft gefordert.

Der Mann aus Oxford performt stattdessen „The Oaks“ (aus „World’s Strongest Man“ von 2018) am Piano, widmet ein Lied seiner autistischen Tochter und erzählt eine hübsche Boxer-Moritat, ehe er mit „Sonny The Strong“ den Song dazu anstimmt. Monumentale neue Stücke wie „This Love“ oder „Dance On“ zelebriert Coombes mit Feingefühl statt Pathos (und mit fabelhafter Stimme, die entgegen eigener Aussage gar nicht „fucked“ klingt). Mit dem Ska-infizierten „Walk The Walk“ geht’s auf die Zielgerade.

Ein Kandidat für die „Konzerte des Jahres“

Die Zugabe „The English Ruse“ (erneut vom „Matador“-Album) beweist schließlich, dass der 47-Jährige sogar Krautrock-Einflüsse lässig in seinen sehr weit gedehnten Britpop-Ansatz integriert hat. Am Ende Riesenjubel um eine Band, deren lachende Gesichter die eigenen Glücksgefühle spiegeln. Sounds & Books kürt bekanntlich stets im Dezember seine „Konzerte des Jahres“ – der musikalisch wie atmosphärisch prächtige Berlin-Gig von Gaz Coombes wäre ein heißer Kandidat für das Jahr 2023.

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