Gaito Gasdanow: Ein Abend bei Claire

Der russische Autor Gaito Gasdanow brilliert mit sprachlicher Eleganz

von Gérard Otremba

Nach Das Phantom des Alexander Wolf ist Ein Abend bei Claire die zweite deutsche Übersetzung eines Romans des russischen Schriftstellers Gaito Gasdanow. Dafür gebührt der Übersetzerin Rosemarie Tietze sowie dem Hanser Verlag ein großes Lob und ein herzliches Dankeschön, denn die Prosa des 1903 in St. Petersburg geborenen Gasdanow ist ein Hochgenuss für literarische Feinschmecker. Ein Abend bei Claire erschien 1930 in Gasdanows Exilstadt Paris. Es war der erste Roman des damals 26-jährigen Autors, der noch acht weitere Romane sowie zahlreiche Erzählungen folgen lassen sollte.

Der Ich-Erzähler Nikolai „Kolja“ Sossedow trägt viele autobiographische Züge seines Erfinders – Kindheit, Kadettenschule, Gymnasium, Kriegserlebnisse, Emigration nach Paris – der den Roman mit Koljas Abend bei Claire in Paris im Jahre 1929 beginnen lässt und in die Erinnerungen in dessen bisherigen Lebensverlauf eintaucht. Zehn Jahre zuvor begegnete Kolja Sossedow der schönen Französin Claire in seiner russischen Heimat, doch bevor es zu einer ernst zu werdenden Liaison kommen kann, zieht der 16-jährige Kolja in den russischen Bürgerkrieg, „ohne Überzeugung, ohne Enthusiasmus, einzig aus dem Wunsch heraus, im Krieg neue Dinge zu erblicken und zu bergreifen“.

So schließt er sich nicht parteipolitisch, sondern mehr zufällig den „Weißen“, also den zarentreuen Truppen an, trotz der Warnungen seines Onkels Witali. Die Gespräche zwischen dem Sinn suchenden, gebildeten Jüngling Kolja und seinem abgeklärten Onkel und Ex-Offizier Witali über Krieg und Frieden, Geschichte, Recht und Wahrheit sind so vortrefflich gelungen, wie der ganze, nur 170 Seiten lange Roman. Gasdanows Jugend- und Kriegsschilderungen sind präzise, mit zeitweiligen Gedankenabschweifungen und erinnern auf angenehme Weise an Robert Musils „Verwirrungen des Zöglings Törleß“. Der 1971 in München verstorbene Gaito Gasdanow greift in diesem knapp gehaltenen Entwicklungsroman alle relevanten Themen der Weltliteratur, neben den erwähnten noch die Literatur, die Psychologie, die Religion und selbstverständlich die Liebe.

Nach und nach verliert Kolja Sossedow das Interesse am Krieg, landet desillusioniert auf der Krim, die unausweichliche Ausreise vor Augen, als ihm Claire wieder einfällt und Kolja von einer Begegnung mit ihr in Paris zu träumen beginnt. Er findet die mittlerweile verheiratete Claire und verfällt in eine romantische Melancholie. „Gab sie sich der Macht des Schlafs oder der Melancholie oder eines anderen Gefühls hin, ganz gleich, wie stark es war, blieb sie doch stets sie selbst; auch die stärksten Erschütterungen, so schien es, konnten diesen so vollendeten Körper nicht im mindesten verändern, konnten diesen letzten, unbesiegbaren Zauber nicht zerstören, der mich dazu gebracht hatte, zehn Jahre meines Lebens auf die Suche nach Claire zu verwenden und sie nie und nirgends zu vergessen. ‚Aber in jeder Liebe steckt auch Traurigkeit‘, ging es mir durch den Sinn, ‚Traurigkeit über die Vollendung und den näher rückenden Tod der Liebe, falls sie glücklich ist, und Traurigkeit über die Unmöglichkeit und den Verlust dessen, was uns niemals gehört hat, falls die Liebe vergeblich bleibt‘.“ Gaito Gasdanow brilliert mit sprachlicher Eleganz und so ist Ein Abend bei Claire ein zutiefst poetisches Buch geworden, ein Lesevergnügen nicht nur für Romantiker.

Gaito Gasdanow: „Ein Abend bei Claire“, Hanser Verlag, Hardcover, 978-3-446-24471-9, 17,90 €

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