Deutschland zum vierten Mal in Folge im Halbfinale
von Gérard Otremba
Mit den mit Spannung erwarteten Halbfinal-Partien Brasilien-Deutschland sowie Niederlande-Argentinien geht die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien am Dienstag und Mittwoch in die vorletzte Runde. Hochbrisante Klassiker, die den Wettkampf zwischen Südamerika und Europa auf die Spitze treiben. Wird eine europäische Mannschaft erstmals Weltmeister auf dem amerikanischen Kontinent? Die Chancen stehen gar nicht so schlecht.
Deutschland besiegt Frankreich 1:0
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft qualifizierte sich durch einen schwer erkämpften, glücklichen, aber verdienten 1:0-Erfolg gegen Frankreich in die Runde der letzten vier. Zum vierten Mal hintereinander steht die DFB-Elf bei einer Fußball-WM im Halbfinale, ein neuer Rekord, den alle zu würdigen wissen sollten. Zwar hat das Team von Joachim Löw sein kreatives Offensiv-Potential sicherlich noch nicht vollends ausgeschöpft, doch auf den überragenden Abwehrstrategen Mats Hummels, der mit seinem zweiten WM-Tor die Adlerträger in die Geschichtsbücher köpfte, sowie auf Keeper Manuel Neuer war wieder mehr als Verlass. Darüber hinaus verlieh der Wechsel auf das bis kurz vor der WM praktizierte 4-2-3-1-System mit Kapitän Philipp Lahm als Rechtsverteidiger der Löw-Truppe deutlich mehr Sicherheit und Struktur im Spielaufbau. Taktisch und spielerisch ein Schritt in die richtige Richtung, eine weitere, und definitiv mögliche, Steigerung wird im Spiel gegen Gastgeber Brasilien nötig sein, um zurück ins Maracana-Stadion zum Finale reisen zu dürfen.
Der tragische Ausfall von Superstar Neymar
Deutschlands Gegner Brasilien steht nach dem verletzungsbedingten Ausfall ihres Superstars Neymar unter Schock, wird sich aber bis Dienstag davon erholen. Für die deutsche Equipe ist Neymars Fehlen mehr Fluch als Segen. Sicherlich kann Trainer Luiz Felipe Scolari seinen Spielmacher und Torjäger in Personalunion nicht gleichwertig eins zu eins ersetzen, doch werden die Spieler der Selecao nun noch enger zusammenrücken und einen „Fighting Spirit“ für Neymar entwickeln. Dieser ging allerdings schon beim 2:1-Sieg im Viertelfiale gegen Kolumbien an die Grenzen des Erträglichen. Es war zwar ein rassiges und oftmals schnelles Match, aber kein schönes. Die spielerische Raffinesse geht den Brasilianern völlig ab, stattdessen pflegen sie „deutsche“ Tugenden und verteidigen knüppelhart. Die Innenverteidiger Thiago Silva, der aufgrund einer Gelsperre das Halbfinale ebenfalls verpassen wird, und David Luiz nannte man früher Vorstopper und genauso rustikal wie einst Karl-Heinz Förster oder Jürgen Kohler gehen sie zur Sache und sind sich nicht zu schade, den Ball mal vogelwild aufs Tribünendach zu dreschen. Früher am Zuckerhut verpönt, heute beklatscht.
Der Klassiker Brasilien-Deutschland im Halbfinale
„Auf sie mit Gebrüll“, schien das Brasilien-Motto gegen Kolumbien zu heißen. Es war eine merkwürdige Begegnung mit viel zu vielen Fouls und ohne klare spielerische Linie. Die fand auch Kolumbiens neuer Star James Rodriguez nur ansatzweise und so musste sich das zuvor so großartig auftrumpfende kolumbianische Team leider von der WM verabschieden. Erstaunlicherweise gab es den „Klassiker“ Brasilien-Deutschland bei einer Fußball-Weltmeisterschaft nur ein einziges Mal, nämlich im Finale von Yokohama 2002. Dort setzte es bekanntlich eine 0:2-Niederlage für das deutsche Team und auch sonst spricht die Statistik eindeutig gegen Deutschland. In 21 Partien gab es nur 4 Siege, aber 5 Unentschieden und gar 12 Niederlagen. Eine Bilanz, die einer Korrektur bedarf. Deshalb der Pop-Polit-Tipp: 2:0 für Deutschland.
Schon wieder: Langweilige Argentinier
Zu den Argentiniern fallen einem bald keine Worte mehr ein. Fünftes Spiel, fünfter Sieg mit einem Treffer Unterschied und schon wieder gähnende Langweile wie im Achtelfinale. Mit ihrem minimalistischen Schlafwagen-Fußball lullte das Team um Superstar Lionel Messi die Belgier schlicht ein und quälte sich zu einem 1:0-Erfolg gegen an diesem Tag einfallslose Elf von Trainer Marc Wilmots. Immerhin hat Stürmer Gonzalo Higuain mit seinem ersten WM-Tor und einem Lattentreffer signalisiert, ab sofort am Spiel des zweifachen Weltmeisters teilnehmen zu wollen. Aber nur wenn es sein muss. Es wäre verheerend für die Fußballkultur, gewänne Argentinien mit dieser Art des Spielverständnisses den diesjährigen WM-Titel.
Holland im Elfmeterschießen weiter
Ins Halbfinale gezittert hat sich auch die Mannschaft aus den Niederlanden. Gegen ein aufopfernd kämpfendes Team aus Costa Rica benötigte der dreifache Vizeweltmeister das Elfmeterschießen, um wie 2010 das Semifinale zu erreichen. Den Fairnesspreis bekommen die Holländer bei der WM sicherlich nicht mehr. Hielt sich Arjen Robben im Viertelfinale mit seiner Elfmeterschinderei erfreulicherweise zurück, schickte Trainer Louis van Gaal mit Ersatztorwart Tim Krull, der extra für die Entscheidung vom Elfmeterpunkt eingewechselt worden war, ein nächstes höchst fragwürdiges Individuum der Spezies Fußballer auf den Platz. Dessen völlig überflüssige wie unsportliche und provozierende Mätzchen gegen fast alle Schützen aus Costa Rica haben im Sport nichts zu suchen. Wenn das laut Oliver Kahn angeblich „irgendwo zum Profifußball dazugehört“, dann müssen wir die angebliche Vorbildfunktion von Profifußballern dringend überdenken. Leider fruchteten alle niederländischen Maßnahmen, Krull parierte zwei Elfer und ließ sich als Held des Tages feiern. Sehr schade für Costa Rica und ein großes Dilemma für den Halbfinaltipp. Aber Holland revanchiert sich für die Finalniederlage von 1978 und gewinnt 2:1 gegen Argentinien. Im Finale ist dann aber Schluss mit dem Revanchenehmen.