Ein thematisch prallgefüllter, epischer und spannungsreicher neuer Roman des japanischen Schriftstellers Fuminori Nakamura
von Gérard Otremba
Auf seiner Flucht landet der japanische Journalist und Buchautor Kenji Yamamine in Köln. Yamamine hat sich mit Einlassungen über den neuen Rechtsruck in Japan nicht nur Freunde gemacht. Und er ist auf die Spur der berühmten Trompete „Fanaticism“ des Komponisten Suzuki gebracht worden, der eine mythisch-magische Legende anhaftet, habe sie doch im 2. Weltkrieg aufgrund ihrer betörenden Wirkung der japanischen Armee zu einem nicht für möglich geglaubten Sieg verholfen. Eine echte „Teufelstrompete“ also, die ihren jeweiligen Besitzern indes nicht nur Freude bereitet, wie Kenji Yamamine selbst erfahren muss. Fuminori Nakamura erzählt in seinem nach „Der Revolver“, „Der Dieb“ und „Die Maske“ vierten ins Deutsche übersetzten Roman aus der Perspektive seiner Hauptfigur, die in Köln zwar die Trompete sein Eigen nennt, aber in tiefster Einsamkeit versinkt.
Die verstorbene Freundin und ein geisterhafter Killer
Der 1977 geborene Nakamura setzt seinen neuen Roman inmitten des Geschehens ein und lässt seinen Protagonisten wichtige Handlungsstränge rekapitulieren. So besitzt Yamamine während seines unfreiwilligen Köln-Aufenthalts zwar die sagenumwobene Trompete, muss aber auch den Verlust seiner Freundin Anh verkraften die er auf den Philippinen kennengelernt hat, wohin er zwecks Trompetenüberprüfung gereist ist, und die auf tragische Weise verstorben ist. Nicht nur muss Nakamuras Protagonist diesen Schicksalsschlag verkraften, gleichzeitig gerät er ins Visier einer obskuren religiösen Sekte, die die Trompete zu ihren politischen Zwecken nutzen möchte. Ein geisterhafter Killer, von Fuminori Nakamura lediglich mit dem Buchstaben „B“ bezeichnet, kreuzt zum Schrecken Yamamines regelmäßig dessen Wege, das Bedrohungsszenario wird immer konkreter. Getrieben von Anhs Wunsch, ihrer beiden Geschichten in Romanform festzuhalten, taumelt Yamamine durch eine irre Flucht.
Die thematische Vielfalt von Fuminori Nakamura
Fuminori Nakamura hat seinen mit knapp 600 Seiten bisher epischsten Roman verfasst. Und seinen inhaltlich auch prallsten. Manchmal an Themen fast schon überbordend, jedoch der Länge des Romans wiederum angemessen. Seine Sujets reichen von der Christenverfolgung in Japan von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, über die Geschichte Vietnams bis hin zum Atombombenabwurf auf Nagasaki und die Nuklearkatastrophe von Fukushima. Nakamura schlägt den Bogen von der Historie der Trompete zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Strömungen und schreibt ein detailliertes Porträt des Trompeters und Komponisten Suzuki. Obwohl im Ton eher beklemmend und schwermütig, weiß Fuminori Nakamura mit seinem spannungsreichen, von thrillerhaften Momenten durchsetzten, und flotten Stil die Leser bei der Stange zu halten. Mitunter bleibt es mysteriös, der Roman indes ein literarisches Vergnügen.
Fuminori Nakamura: „Die Flucht“, Diogenes, übersetzt von Luise Steggewentz, Hardcover, 592 Seiten, 978-3-257-07285-3, 30 Euro. (Beitragsbild von Sodo Kawaguchi)