Fritz Breithaupt: Das narrative Gehirn

Fritz Breithaupt Das narrative Gehrin Cover Suhrkamp Verlag

Der Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt hat mit „Das narrative Gehirn“ ein augenöffnendes, lehrreiches und erfreuliches Buch geschrieben

Filme, Bücher, Social Media-Posts: Die Erlebnisse und Erfahrungen anderer Menschen erleben wir in der Regel über Narrationen. Mit ihrer Hilfe können wir uns in die Lage anderer Menschen versetzen, in ihre Gedanken eintauchen und tatsächlich „ihre“ Erfahrungen machen. Geschichten sind es, die uns in der Zeit und an andere Orte reisen lassen, mit deren Hilfe wir uns in Situationen begeben können, die wir selbst nicht machen können oder wollen. Wir können unser Alter, unser Geschlecht und die gesamte soziale Umwelt verlassen und in die Lebenswelt anderer eintauchen. Fritz Breithaupt, Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington nennt narratives Denken im Vorwort zu seinem neuen Buch „Das narrative Gehirn – Was unsere Neuronen erzählen“ folgerichtig „ein großartiges Medium des Erlebens und Planens“.

Fritz Breithaupt bestimmt den Menschen als narratives Wesen

Fritz Breithaupt Das narrative Gehrin Cover Suhrkamp Verlag

Auf der Grundlage aktueller Studien bestimmt Breithaupt, der sich der Erforschung narrativer Ereignisse, Empathie, moralisches Denken, Emotionen, Parteilichkeit, Ausreden, Gewalt und Überraschungen widmet, den Menschen als narratives Lebewesen. Den Nutzen sieht er nicht nur evolutionär bedingt, etwa im Überlebensvorteil durch Planbarkeit, sondern vor allem im Erleben von Emotionen. Breithaupt glaubt sogar, dass uns Narrationen in einem gewissen Sinne süchtig machen. Denn dank ihrer können wir uns zum Beispiel als Held:innen erleben.

Die Narration als multiversionale Wirklichkeit

Das Erzählen als zusätzliche Erfahrungsraum, der von tatsächlich gemachten Erlebnissen kaum zu unterscheiden ist bzw. in seiner Wirkung ähnlich stark ist, ist allgegenwärtig. Breithaupts Buch klärt zunächst die wichtigsten Grundbegriffe und führt uns dann durch zahlreiche Beispiele und Gedankenexperimenten vor Augen, wie Narrationen funktionieren und wirken – etwa als Belohnung, als Antwort auf Krisen, als multiversionale Wirklichkeit oder als Motor der Bewusstseinsmobilität. Die Plausibilität seiner Ausführungen ist bestechend. Und die Bewusstmachung der Dauerpräsenz von Narrationen in allen Bereichen unseres Alltags so augenöffnend, dass es eine Freude ist.

Die Meta-Ebene

Beim Lesen begibt man sich als Leser:in zudem auf eine Meta-Ebene. Denn auch das Lernen ist durch Narration vermittelt. So ist die Überprüfbarkeit seiner Ausführungen gleich mitgeliefert. Angereichert mit zahlreichen Abbildungen und Studienauszügen ist „Das narrative Gehirn“ bei allem Unterhaltungswert stets wissenschaftsverwurzelt. Ein ebenso lehrreiches wie erfreuliches Buch.

Fritz Breithaupt: „Das narrative Gehirn – Was unsere Neuronen erzählen“, Suhrkamp, Hardcover, 368 Seiten, 978-3-518-58778-2, 28 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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