Impressionen und Gedanken zur Frankfurter Buchmesse 2013
von Gérard Otremba
Küsschen links, Küsschen rechts. Umarmung hier, Umarmung dort. Händeschütteln überall. Vorbeihuschende Gesichter in immer schneller werdender Abfolge. Sehen und Gesehen werden. Willkommen im jährlichen Jahrmarkt der Eitelkeiten der Buchbranche. Das große Hallo und hast du nicht gesehen.
Prominenten-Viewing auf der Frankfurter Buchmesse
Natürlich habe ich sie gesehen. Wen eigentlich? Ach ja, Boris Becker, Deutschlands einstiger Tennisheld, der die Sportnation 1985 mit seinem ersten von drei wimbledon-Triumphen in einen neuen Höhenrausch versetzte und sich später durch dümmliche Telekom-Internetzugangs-Werbung sowie eine Besenkammeraffäre ins rechte Licht setzte, steigt just bei meinem Verlassen des Messegeländes in eine bereitgestellte Limousine. Sein Kampfgewicht hat der gute, immer schon korpulente Boris, alias Bobbele, nicht mehr wirklich halten können. Wolfgang Niedecken, Schlaganfall geplagter BAP-Sänger, auf dem hurtigen Weg zum 3Sat-Interview, Dieter, nun Max Moor vor der Kamera am S. Fischer-Stand (wo war eigentlich der omnipräsente, jedes Jahr allein durch seinen Körpergröße auffallende Roger Willemsen?). Es sind die durch Funk und Fernsehen bekannten Größen, die auch der Frankfurter Buchmesse zur Popularität verhelfen. Prominenten-Viewing. Da haben es Romanciers etwas leichter, unentdeckter durch die Buchmesse zu wandeln. Für Sven Regener vielleicht schwieriger als für andere Schriftsteller, ist doch sein Gesicht als Sänger der Band Element Of Crime einem großen Publikum bekannt. Trotz diverser Pressetermine bleibt der Autor von „Herr Lehmann“ und des jüngst erschienenen Romans „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ cool und locker am Kiwi–Galiani-Stand und blättert in den Kulturseiten einer Tageszeitung. Daniel Kehlmann mag ebenfalls noch von vielen Besuchern erkannt werden, der Gesichtsbekanntheitsgrad seines Gesprächspartners und Autorenkollegen am Rowohlt-Stand Georg Klein scheint indes noch ein wesentlich kleinere zu sein. Ein Clemens Meyer ist fotogedächtnistechnisch sicherlich immer noch weniger prägnant als seine fabelhafte Sprachgestaltung in den Romanen „Als wir träumten“ und dem für die Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises nominierten „Im Stein“.
Von Fachbesuchern, E-Books und dem haptischen Genuss
Der Andrang an den Fachbesuchertagen scheint von Jahr zu Jahr größer zu werden, das Gedränge in den Gängen immer unübersichtlicher. Wobei einer Horde von circa Zehnjährigen den Einlass als Fachbesucher zu gewähren mir erklärungsbedürftig zu sein scheint (Klassenausflug mit Lehrkraft). Doch, anyway, es bleibt zu hoffen, dass der Lesenachwuchs sich dem Medium Buch aufgeschlossen zeigt und nicht über die Smartphone-Manie zum E-Reader greift. Die Angst vor dem Todesstoß für das schöne gute alte Buch treibt die Branche natürlich immer mal wieder um. Es wäre ein nicht aufzuwiegender und durch nichts zu ersetzender kultureller Verlust. Aber noch dominieren auf der Frankfurter Buchmesse, genau, die Bücher. Die merkwürdigen E-Books, seien wir doch da alle mal ehrlich, tun sich in der Bücherwand ja irgendwie auch ganz schlecht. Gesamtausgaben und sonstige ästhetisch wertvollen zu lesenden oder nur anzuschauenden haptischen Genüsse bringen es in der elektronischen Version nicht wirklich, oder? Sogar das im Regal verstaubte Taschenbuch hat dann doch mehr Charme als diese ach so modernen Spielzeuge. Aber so schnell wird sich das Buch nun auch wieder nicht vom Markt drängen lassen. Dementsprechend wird auch nächstes Jahr der Deutsche Buchpreis (und nicht der e-Reader-Preis) genauso wie der Literaturnobelpreis in der Nachfolge von Terezia Mora und Alice Munro verleihen werden und viele, viele buchaffine Menschen gen Frankfurt zur Buchmesse pilgern.