Deutschlands europäische Weltklasse: Frank Schulz hat mit „Amor gegen Goliath“ einen brillanten Gegenwartsroman geschrieben
von Gérard Otremba
Acht Jahre sind seit dem letzten Roman von Frank Schulz vergangen. „Onno Viets und der weiße Hirsch“ hieß der Abschlussband der „Onno Viets“-Trilogie zu der auch der von uns rezensierte Roman „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ gehörte. Man hatte den Hamburger Autor, der zuvor bereits mit der sogenannten „Hagener Trilogie“ für Aufsehen im deutschen Literaturbetrieb sorgte, bezüglich außergewöhnlicher Sprachbildung und origineller Charakterdarstellung also noch gut in Erinnerung. Und nun „Amor gegen Goliath“, ein opulenter 750-Seiten-Wälzer, der vor überbordender Schulz’scher Fabulierlust- und auch Kunst zu platzen droht. Und gegen die haben weder Amor noch Goliath eine Chance.
Der Frauenheld Philipp Büttner
Frank Schulz erzählt in zwei parallel verlaufenden Strängen die Geschichten von Philipp Büttner und Patrick „Ricky“ Kottenpeter, beginnend Ende 2019 und kulminierend im September 2021 auf Kreta, wo der Roman mit einem Epilog beginnt. In einem Ferienort auf der griechischen Mittelmeerinsel treffen alle Protagonisten des Romans aufeinander. Der in Hamburg lebende freie Journalist und Frauenheld Büttner, der auf Kreta das Social-Media-Phänomen „Konfusius“ enttarnen will, möchte sich mit seiner Verlobten Franzi und deren besten Freundin Jette, Chefin des Hochglanzzeitgeistheftes „Comée – Magazin für wahre Werte“, mit der Büttner seit geraumer Zeit ein Verhältnis hat und für deren Magazin er schreibt, den Wunsch einer Ménage a trois erfüllen.
Ein depressiver Musiker
In einer Schaffenskrise steckt der Musiker Ricky Kottenpeter, der aufgrund der Klimakrise und Corona-Pandemie in einer sich verschlimmernden, mittelgradigen Depression versinkt. Zum Leid seiner beim Jobcenter arbeitenden Frau Cathrin, die zu Hause in Osnabrück als engagierte Aktivistin bei „Everydays for Future“ in Erscheinung tritt und an einen Philip Büttner durchaus Gefallen findet. Hinzu treten noch die 67-jährige Ilona Gammasch, deren lange geschiedene Ehe mit ihrem nun mit Schwurbler-Ansichten um sich werfenden Ex-Mann ihr noch immer nachhängt, sowie einige wenige beste Freunde Rickys. Neue Konstellationen ergeben sich und vieles endet anders, als sich einige Figuren vorher dachten.
Frank Schulz tobt sich aus
In „Amos gegen Goliath“ steckt einfach alles drin: Klimakrise, Corona-Pandemie, Midlifecrisis, die Folgen von Social Media, psychische Erkrankungen, das Private vs. das Politische, die Natur, die Liebe und gute Musik (Nick Cave, Lilly Among Clouds, Nick Drake, Funny van Dannen, Erdmöbel). Frank Schulz hat einen epochalen zeitgenössischen Roman verfasst, in dem er sich mit einem auf Eckhard Henscheid zurückzuführenden Humor sprachlich und inhaltlich zum großen Vergnügen seiner Leser austobt. Ein vor Ideen und sprachlichen Kabinettstücken nur so sprudelnder Gegenwartsroman, mithin die literarische Quintessenz unserer Zeit. Lesen Sie diesen Roman, er wird ihr Leben bereichern.
Frank Schulz: „Amor gegen Goliath“, Galiani Berlin, Hardcover, 752 Seiten, 978-3-86971-237-6, 32 Euro. (Beitragsbild von Dirk Skiba)