Was sich mit dem riesigen Hype um das neue Album bereits andeutete, bestätigt sich bei einem Konzert in Berlin: Die Irish-Folk-Drone-Band Lankum ist eine Sensation.
Text und Fotos von Werner Herpell
„Zum Konzert von Lankum immer den Menschenmassen hinterher!“ Der freundliche Hinweis eines Ortskundigen vor dem mit Hochspannung erwarteten Konzert im Kulturzentrum „Silent Green“ (der früheren Urnenhalle des Krematoriums Berlin-Wedding) deutet bereits an, wo’s lang geht an diesem denkwürdigen Abend des 25.04.2023. Hier ist – dem vermeintlich arg angestaubten Genre Irish-Folk zum Trotz – ein plötzlich angesagtes Pop-Phänomen zu besichtigen, das alte wie neue Fans magisch anzieht. Lankum, vier nicht mehr ganz junge Musiker aus Dublin, sind mit ihrer innovativen Verbindung von
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heimischer Folk-Tradition und avantgardistischen Song-Arrangements die Band der Stunde.
Lankum in Irland nur knapp hinter Lana
Und das nicht nur in der irischen Heimat, wo der vierte Lankum-Longplayer „False Lankum“ kürzlich ganz knapp Platz 1 der Charts verfehlte (davor nur Lana Del Rey). Das weltweit mit Kritikerlob überschüttete 70-minütige Doppelalbum steht auch beim seit Wochen restlos ausverkauften „Silent Green“-Gig im Mittelpunkt. Die über 100 Jahre alte Trauerhalle gibt dabei einen passenden sakralen Rahmen für die feierlichen, oft traurigen Eigenkompositionen und Coverversionen des seit vielen Jahren zusammenspielenden Folk-Quartetts ab.
Nach einem angemessen ernsten, bereits heftig umjubelten Support-Auftritt des tollen Dubliner Singer-Songwriters John Francis Flynn lassen auch Lankum keinen Zweifel, dass dieses Event weder mit einer Pseudo-Irish-Folk-Show wie „Lord Of The Dance“ noch mit einem normalen Rockkonzert zu vergleichen ist. Ian Lynch, Radie Peat, Cormac Mac Diarmada und Daragh Lynch nehmen in dieser Reihung auf einfachen Stühlen Platz und legen gleich mit dem berühmten Traditional „The Wild Rover“ los. Die vokale Brillanz der Leadsängerin Peat, aber auch der drei männlichen Bandmitglieder ist auf Anhieb atemberaubend.
Authentische Folk-Songs mit modernem Spin
Wie auf den gefeierten jüngsten Alben „The Livelong Day“ (2019) und „False Lankum“ (2023) begeistert nun auch live, wie Lankum ihrem eigentlich ganz klassischen Irish-Folk-Sound – authentisch inszeniert mit alten Instrumenten wie Drehleier, Tin Whistle, Fiddle oder Concertina – durch Drones, Dehnungen und Verzerrungen einen modernen Spin geben. Ihre Lieder dauern dann eben auch mal acht, zehn oder zwölf Minuten – für Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne ist diese stolze, Geduld und Aufmerksamkeit einfordernde Musik daher eher nichts. Diese Band konzentriert sich – und verdient die Konzentration ihres Publikums.
In Berlin ist das freilich kein Problem – die gesamte irische Community der Hauptstadt scheint sich im „Silent Green“ zum Heimspiel und zum Lankum-Fest versammelt zu haben. Obwohl die Texte der historischen oder auch brandneuen Folk-Songs oft furchtbare Dinge schildern oder zumindest tiefe Melancholie verströmen, wird auf beiden Seiten der Bühne überraschend viel gescherzt und gelacht. Die Lynch-Brüder, die ihre Band einst unter dem düsteren Namen Lynched gegründet hatten, sind im Dialog mit den aufgekratzten Fans gut eingespielt, während Peat und Mac Diarmada sich dezent zurückhalten.
Lankum auf der Bühne als überzeugende Einheit
Rein musikalisch wirken die vier indes als unverbrüchliche Einheit zusammen – so sind auch längliche Virtuosen-Soli zur Profilierung bei Lankum nicht vorgesehen. Nach gut 100 Minuten inklusive dreier Zugaben, darunter der langjährige Fan-Favorit „Cold Old Fire“ vom gleichnamigen Lynched-Debüt (2014), geht ein hochintensiver Berliner Auftritt zu Ende, der die Wucht des Lankum-Albumsounds auch live voll und ganz bestätigt. Wenn es in einigen Monaten um die Bands, Alben und Konzerte des Jahres 2023 geht, wird so mancher Musikfan sicherlich an die Irish-Folk-Erneuerer Lankum, an „False Lankum“ und an den „Silent Green“-Gig von Ende April denken.
Und wer diesmal beim Run auf Live-Tickets in die Röhre schaute, hat vielleicht im November mehr Glück: Dann treten Lankum am 17.11.2023 (Schorndorf), 22.11.2023 (Berlin) und 23.11.2023 (Köln) in Deutschland auf.
