Fatma Aydemir: Dschinns

Fatma Aydemir credit Fendt

In ihrem zweiten Roman „Dschinns“ beleuchtet Fatma Aydemir die Strukturen und Disbalancen der türkischstämmigen Familie Yılmaz

In ihrem bemerkenswerten, mit dem Klaus-Michael-Kühne- und Franz-Hessel-Preis ausgezeichneten, 2017 veröffentlichten und von uns an dieser Stelle rezensierten Debütroman „Ellbogen“ lotete Fatma Aydemir die Frust-Wut-Gewalt-Spirale einer 18-jährigen, im Berliner Wedding wohnenden Deutsch-Türkin aus. Ein unter die Haut gehendes Buch, dem Aydemir nun „Dschinns“ folgen lässt, ein breit gefächerter, im Jahr 1999 spielender und die Vergangenheit rekapitulierender Familienroman. Fokussierte sich die 1986 in Karlsruhe geborene Journalistin und Autorin in ihrem Debüt auf eine Einzelperson, schenkt sie in „Dschinns“ aus wechselnden Perspektiven allen Mitgliedern der Familie Yılmaz eine Stimme.

Tod in Istanbul

Fatma Aydemir Dschinns Cover Hanser Verlag

Da ist zunächst einmal das Familienoberhaupt Hüseyin. Vor dreißig Jahren kam er aus einem türkischen Bergdorf in die (fiktive) süddeutsche Kleinstadt Rheinstadt, um hier zu arbeiten und seine Familie zu ernähren. Nach der jahrelangen Plackerei als Schichtarbeiter wollte sich Hüseyin im Vorruhestand den Traum einer eigenen Wohnung in Istanbul erfüllen. Doch nicht mal richtig eingezogen, verstirbt er an einem Herzinfarkt. Statt eins Familientreffens zur Wohnungseinweihung, wird ein Trauerfall zum Anlass des Wiedersehens. Und so kommen Hüseyins Kinder in der Türkei zusammen. Sevda, die Älteste, die sich von ihren Eltern verraten fühlt, weil sie als Kind in der türkischen Heimat zunächst zurückgelassen worden ist und erst im Alter von 15 Jahren in Deutschland erstmals zur Schule gehen konnte, sich als nunmehr alleinerziehender Mutter zweier Kinder zur Restaurantbesitzerin hochgearbeitet hat, auf deren Haus mal ein rassistisch motivierter Brandanschlag verübt worden ist und die im ständigen Clinch mit ihrer Mutter liegt.

Fatma Aydemir und die Kunst der messerscharfen Charakterzeichnungen

Auch der mehr oder weniger sich als Kleinkrimineller durch Leben schlagende Hakan, die feministisch angehauchte Peri, die als Erste in der Familie Yılmaz das Abitur gemacht hat und nun studiert, sowie der 15-jährige, in einen Fußballkumpel verliebte Ümit finden sich in Istanbul ein. Und natürlich Hüseyins zum Drama neigende Frau Emine. Fatma Aydemir hat für sie alle an Konfliktpotentialen nicht gerade arme Biographien erfunden. Den Höhepunkt des Romans bildet die hitzige Aussprache zwischen Sevda und Emine, bei der viel bisher Ungesagtes zur Sprache kommt. Aydemir taucht aber ebenso gekonnt in die Denk- und Gefühlsgeheimnisse der anderen Protagonisten ein und zeigt erneut ihre Kunst der messerscharfen Charakterzeichnungen.

Sie seziert geradezu die Familienverhältnisse der Hüseyins und überschüttet die Leser mit fast überbordendem, zwischen den Themen Herkunft, Identität und Erwartungshaltung changierendem Inhalt. Ein realitätsnaher und stets lesenswerter, in einer unverblümten und doch einfühlsamen, dem Sujet entsprechenden Sprache erzählter Plot. Mit ihrem zweiten Roman „Dschinns“ stößt Fatma Aydemir in die Phalanx der wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen unserer Zeit.

Fatma Aydemir: „Dschinns“, Hanser, Hardcover, 368 Seiten, 978-3-446-26914-9, 24 Euro. (Beitragsbild-Credit: Fendt)  

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