Elif: Endlich tut es wieder weh

Elif credit A Family Tree

Bittersüße und formvollendete Songs auf „Endlich tut es wieder weh“ von Elif

Elifs große Stärke ist ihre Emotionalität, die sie scheinbar ungefiltert und dabei bemerkenswert unkitschig künstlerisch verarbeitet. Stilistisch touchiert sie gleichermaßen Hip Hop, Soul und natürlich Pop, vereinigt all diese Einflüsse und genießt dabei den Respekt von Protagonisten all dieser Genres, mit denen sie gerne und viel zusammen arbeitet. Ihr viertes Album „Endlich tut es wieder weh“ verfestigt diese Position, die sie mit dem Vorgänger „Nacht“ 2020 in die Top Ten der Verkaufscharts brachte. Die Liebe dominiert dabei einmal mehr, oft beschrieben aus einer retrospektiven Position. Beziehungen sind das Thema – Beziehungen mit Menschen, die man selber verlassen hat, von denen man verlassen wurde oder die einem durch einen Unglücksfall genommen wurden.

Viel Herzschmerz also, das Leid ist spürbar und sorgt dabei für eine Ambivalenz, die das Suhlen im Selbstmitleid sowie einen merkwürdigen Genuss daran nicht ausspart. „Jeder braucht auch mal ein Liebeslied, bei dem er dazu weinen kann“ fasste Elif ihr Zielpublikum in der Talkshow Kölner Treff  treffend zusammen – und, mal ehrlich: Gehören wir zu diesem nicht alle?

Verlust und Identität

Elif Endlich tut es wieder weh Cover Jive Sony Music

Tearjerker-Alarm galore gibt es bei „Ich denk an Dich“ mit PA Sports: „Du warst die Liebe meines Lebens, ich ließ dich einfach gehen. “  – „Es tut so weh, wie ich dich brauch“. Man glaubt dabei jedes verdammte Wort. Ernsthaft – wer das als Kitsch abtut, ist ein roher Mensch. Oder, subtiler, dabei noch krasser: „Bomberjacke“: „Es ist November, doch nicht kalt in der Bomberjacke. Wenn ich sie trag‘, sind wir zusamm’n, fehl’n nur 21 Gramm“. Schluck.

Das Hadern mit der eigenen Identität zwischen dem Glauben an Gott und einem selbstbestimmten Dasein bleibt darüber hinaus Thema – In „Himmel“ fragt Elif „Ist da jemand für mich da?“ oder „Ist mein Leben eine Sünde“. Der Faden von „Alles Helal“ (2020) wird dabei weiter gesponnen, ihr berührender Beitrag beim Free European Song Contest 2021, dem heimischen Pandemie-Ersatz für den im Vorjahr ausgefallen ESC. Songs, die über eine betroffene, individuelle Sicht hinaus eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben.

Elif serviert ihre Rache anders

Elif kann jedoch auch anders, sie als Ex zu haben kann für Außenstehende durchaus witzig klingen: „Ich kenne die Details, mein Babe, weiß sogar wie sie heißt“ droht sie in „Mein Babe“, und:  „Ich drück nur noch ein Auge zu um auf Dich zu zielen“. Dabei erhöht eine sparsame Gitarre im Django Reinhardt-Style den Suspense-Faktor: Wird es Tote geben am Ende? Nein, Elif serviert ihre Rache wie einst Die Ärzte, nur in unironisch: „Du hast mich nicht gewollt, deswegen kriegen mich jetzt alle, sie singen meine Lieder, weil Du mich nicht geliebt hast“.

Das lyrische Ich Elifs ist dabei auch nicht ganz frei von Toxizität –  „Wieso bist du online und drückst mich weg?“  fragt sie in „Warum lügst Du mich an“; „Warum gehst Du nicht ran wenn ich dich anruf nachts um 10?“ Tja, warum? „Du hältst meine Liebe nicht aus“ heißt es da an anderer Stelle, „Du rennst immer weg, komm ich dir zu nah“. Dabei Sprechgesang am Piano, gefolgt von vokaler Eskalation. Trotz, Vorwürfe und Flehen. „Lass mich nicht allein“.

Cinemascope-Version der Gefühle

Elifs Darbietung macht Teile wie diese zu einer Cinemascope-Version der Gefühle. Was sie mit ihrer Stimme anzustellen vermag sollte von Spezialisten erforscht werden, so sehr sprengt das die Richterskala selbst nur in Ansätzen empathischer Menschen. „Weißt Du, wie es ist, wenn man egal, was man tut das Gefühl hat, man ist nicht genug?“ Das Piano bleibt verhalten, ist der Song vielleicht eine Fortsetzung von eben? “Weißt Du, wie es ist wenn der Schmerz bei Dir bleibt und nie mehr vergeht?“ „Wenn man einfach nur will, dass die Welt einen nicht vergisst?“ Mach Dir darüber keinen Kopf, Elif. Vergessen ist rum. Alben wie diese bleiben, weil die Themen darauf bleiben. Und weil sie selten so bittersüß wie formvollendet wie hier dargebracht werden.

„Endlich tut es wieder weh“ von Elif erscheint am 03.02.2023 bei Jive / Sony Music. (Beitragsbild-Credit: A Family Tree)

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