Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens – Roman

Zweiter, intensiver, hoch emotionaler und emphatischer Ferrante-Roman

von Gérard Otremba

Alles, was der erste Band „Meine geniale Freundin“ versprach, löst auch Die Geschichte eines neuen Namens ein. Obwohl der zeitliche Rahmen der Handlung zwischen 1960 und 1967 ein recht überschaubarer ist, hat der Leser nach der Lektüre der 624 Seiten des zweiten Teils von Elena Ferrantes vierbändiger Neapolitanischer Saga um die Freundinnen Lila und Lenù das Gefühl, ein ganzes Jahrhundert inhaliert zu haben. Elena Ferrante erhöht in der Fortsetzung sogar noch die Intensität und entfacht ein narratives Feuerwerk zu den Themen Liebe, Drama, Verlangen, Sex, Gewalt, Poesie, Bildung und Zeitgeschichte. Die Geschichte eines neuen Namens knüpft nahtlos an Meine geniale Freundin an.

Nachdem Lila aus finanziellen Gründen ihre Schullaufbahn nach der Grundschule abbrechen musste und sich in der elterlichen Schuhmacherwerkstatt wiedergefunden hatte, heiratet sie also den Lebensmittelhändler Stefano, nur um sich die Chance zu erhalten, mit Geld dem verarmten Rione-Viertel zu entfliehen. Der erste Verrat, den Stefano mit den Solara-Mafia-Brüdern an ihr verübte wird Lila noch während der Hochzeitsfeier gewahr. Mit der Vermählung beginnt für Lila ein fürchterliches Ehe-Martyrium, wird sie doch noch in der Hochzeitsnacht (und in der Folge regelmäßig) von ihrem Mann vergewaltigt und dient ihm immer wieder als Spielball für dubiose Geschäfte mit den Solaras.

Lila wird erniedrigt, gedemütigt, erleidet eine Fehlgeburt, doch ihr Wille zum Widerstand kann nicht gebrochen werden. Sie verliebt sich während eines längeren Erholungsurlaubs auf Ischia ausgerechnet in Nino Sarratore, der seit Jahren von Lenù vergöttert wird. Die Liaison führt zur nächsten Schwangerschaft, doch das außereheliche Glück währt nicht lange und das Kind wächst, die Fassade wahrend, als Sohn Stefanos auf. Nach wenigen weiteren zermürbenden Ehejahren beschließt Lila ihren Mann endgültig zu verlassen, wohlwissend, den Hass ihres Ehemannes und der Solara-Familie auf sich zu ziehen. Diese Entwicklung verfolgt Lenù aus immer größerer Distanz (vieles erfährt sie erst im Nachhinein durch Lilas, von ihr heimlich gelesenen, Aufzeichnungen). Die Erzählerin der Geschichte erlebt zwar unrühmliche schulische Phasen, das Abitur legt sie jedoch mit Glanz und Gloria ab und begibt sich zu Studienzwecken nach Pisa.

Die Freundschaft von Lila und Lenù fußt schon sein Kindheitsbeinen auf eine gewisse Rivalität, die im Adoleszenz-Prozess zu immer mal aufbrechenden Spannungen und wochenlanger Nichtbeachtung führt. Neapels Rione-Vergangenheit hinter sich zu lassen, gelingt beiden auf verschiedenen Wegen und doch nicht wirklich. Lilas vorübergehender Wohlstand war teuer erkauft und Lenù fehlt, trotz des Philologie-Diploms mit Bestnote, die Weltgewandtheit, um auf dem gesellschaftlichen Parkett der Intellektuellen sicher zu bestehen. Immerhin naht für Lenù mit der Veröffentlichung eines Romans die Erfüllung eines Kindheitstraums. Das Liebesleben hingegen ist für beide als desaströs zu bezeichnen, die Liebe selbst für sie nur eine vage Fata Morgana am Horizont. Die Geschichte eines neuen Namens ist ein hoch emotionaler Bildungsroman, von Ferrante emphatisch zelebriert. Bücher von Elena Ferrante lesen, heißt das Leben studieren. So funktioniert glorreiche zeitgenössische Literatur. Fortsetzung folgt im Mai…

Elena Ferrante: „Die Geschichte eines neuen Namens“, Suhrkamp Verlag, aus dem Italienischen von Karin Krieger, Hardcover, 624 Seiten, 978-3-518-42574-9, 25 €.

Kommentare

  • <cite class="fn">belmonte</cite>

    Ich lese immer wieder, dass diese Romane Soap-Charakter haben und die Charaktere nicht tief beschrieben werden. Ist da etwas dran?

  • <cite class="fn">monerl</cite>

    Ganz tolle Buchbesprechung! Ich freue mich auch schon sehr auf diesen zweiten Band, allerdings höre ich die Geschichte. Eine verheißungsvolle Saga, die wirklich eine Sogwirkung entfaltet, je mehr man liest.
    LG, monerl

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