Ein echter T.C. Boyle: Neuer Roman „Sprich mit mir“

T.C. Boyle credit Peter-Andreas Hassepien

In seinem neuen, enthusiastisch erzählten Roman „Sprich mit mir“ befasst sich Kult-Autor T.C. Boyle mit dem Spracherwerb von Schimpansen

Ähnlich wie in seinem 2017 veröffentlichten und von uns an dieser Stelle rezensierten Roman „Die Terranauten“ widmet sich T.C. Boyle wieder einem Experiment. In „Sprich mit mir“ behandelt der 72-jährige amerikanische Schriftsteller den Spracherwerb von Schimpansen. Als Vorlage dienten ihm wissenschaftliche Versuche in den Sechziger- und Siebziger-Jahren, als es der Schimpansin Washoe gelang, sich mit Zeichensprache zu verständigen und sie damit in den Medien für Aufsehen sorgte. T.C. Boyle verlegt die Story seines neuen Romans in die End-Siebziger.

Der Schimpanse Sam, die Studentin Aimee und die Liebe auf den ersten Blick

T.C. Boyle Sprich mit mir Cover Hanser Verlag

In einer Fernsehshow sieht die junge, zurückhaltend-schüchterne, katholisch aufgewachsene Frühpädagogik-Studentin Aimee einen Auftritt des Schimpansen Sam mit dem an ihrer UCSM lehrenden Professor Guy Schermerhorn. Sams kommunikativer Art der Gebärdensprache faszinieren Aimee sofort und weil Schermerhorn studentische Aushilfskräfte sucht, bewirbt sie sich um einen Job. Bei der ersten Begegnung auf Schermerhorns Ranch fällt ihr Sam sofort in die Arme, Liebe auf den ersten Blick bei beiden. Für den zweijährigen Sam, der seit kurz nach der Geburt als Mensch erzogen wird, nimmt Aimee fortan die Rolle der Ersatzmutter ein, nachdem Schermerhorns Frau und erste Bezugsperson vor wenigen Wochen das Weite gesucht hat. Durch kleinere Kapitel, in denen T.C. Boyle aus der Perspektive Sams erzählt, ahnen die Leser frühzeitig das programmierte Scheitern des Projekts.

Erneute Wendung

Nachdem ein wissenschaftlicher Aufsatz von einem „Denkfehler in den Studien zum Spracherwerb von Primaten“ ausging und Kollegen anschließend das Programm „als erledigt“ bezeichneten, fordert Professor Dr. Moncrief, Sams rechtmäßiger Besitzer und von Boyle als nicht nur äußerlich als Bösewicht dieser Story beschrieben, seinen Schimpansen zurück. Aimee, die eine intime Beziehung zu ihrem elf Jahre älteren Professor führt, reist von Kalifornien nach Iowa zu Moncriefs Hauptsitz, wo Sam nun mit anderen, von ihm nicht als solche erkannten Artgenossen ein tristes Dasein in einem Käfig frisst. Als ihm Tierversuche an einer anderen Uni drohen, entführt Aimee Sam, sorgt für eine erneute Wendung des Romans und für die Fortsetzung des sich anbahnenden Dramas.

T.C. Boyle als Experte des Entwicklungsromans

In seiner typischen Manier lotet T.C. Boyle einmal mehr die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Natur aus, mit der Kernfrage nach einem tierischen Bewußtsein im Mittelpunkt. Gekonnt hält er uns in der Vermenschlichung eines Schimpansen den Spiegel vor und bemüht gleichsam einen kritischen Umgang mit den Grenzen der Wissenschaft. In der Zeichnung der Person Aimees zeigt sich T.C. Boyle als ein ausgewiesener Experte im Genre des Entwicklungsromans und punktet darüber hinaus im Skizzieren starker Charakter-Figuren. Mit traumwandlerischer Sicherheit hält er die Balance aus emotionaler Begeisterung und wissenschaftlicher Attitüde seiner Protagonisten für das Sujet. Seinen unwiderstehlichen Plot erzählt Boyle wieder voller Vitalität und Enthusiasmus. Ein echter T.C. Boyle eben.

T.C. Boyle: „Sprich mit mir“, Hanser, aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren, Hardcover, 352 Seiten, 978-3-446-26915-6, 25 Euro. (Beitragsbild von Peter-Andreas Hassepien)

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