Drangsal: Exit Strategy – Albumreview

Drangsal credit Max vom Hofe

Das neue Drangsal-Album „Exit Strategy“ bietet großen Pop

Deutschsprachige Künstler:Innen können es schwer haben in unserer Gegend: Man kann sich nun mal kaum dagegen wehren, aber man bekommt so viel mit vom jeweils Gesungenen – nicht in der ganzen Tiefe, selbstverständlich, aber mehr als bei fremdsprachigen Songs, selbst wenn man deren Sprache versteht. Also müssen sich Musizierende im heimischen Zungenschlag mehr Kritik anhören, was ihre gedanklichen Ergüsse oder Faux-Pas so angeht – das ist schwerer abzustellen, zumindest bei mir. Max Gruber aka Drangsal intonierte auf seinem Debüt “Harieschaim” hauptsächlich auf Englisch, was es einem leicht machte, sich in den Klängen zu verlieren.

Die Referenzen

Die wurden als zeitgemäßes Zelebrieren vergangener Goth- & Indie-Referenzen gedeutet – nicht ganz falsch, im Nachhinein jedoch auch nicht so richtig: Die oft zum Vergleich bemühten The Cure oder Joy Division landeten wohl seltener auf Grubers Plattenteller („..aber ich finde Ian Curtis unerträglich“ – Gruber zu laut.de, 2016), The Smiths schon eher. Trotzdem, wer die beiden erstgenannten mag, kann auch gut mit “Harieschaim”. Dann „Zores“ (2018), nun alles auf Deutsch, die Assoziationen gehen in eine andere Richtung: Gruber wird nun mit Farin Urlaub verglichen, soundtechnisch, jedoch ebenso lyrisch. Um von all diesen Riesen der 80er besonders geprägt zu sein ist Gruber eigentlich zu jung, aber vielleicht auch gerade deswegen: Menschen, die die 80er bewusst erlebt haben, fanden sie im Nachhinein ja eher so semi.

Drittes Drangsal-Album wieder auf Deutsch

Drangsal Exit Strategy Cover Caroline

Album drei jetzt, wieder auf Deutsch, trotz des Titels sowie einer Zeile auf dem Album und es geht wieder los: Klingt wie die Ärzte, heißt es da, aber nur, wenn man nicht genau hinhört (ebenso vice versa): Was bei denen häufig ironisch daherkommt ist bei Drangsal entweder als solche besser versteckt oder die Ironie ist einfach gar nicht vorhanden, obwohl man sich vielleicht kaum vorstellen kann, dass jemand so von der Leber weg dichtet ohne jetzt das große Buch der klugen Metaphern ausgiebig studiert zu haben, um sie den Hörenden bedeutungsschwanger um die Ohren zu hauen. „Ich weiß doch gar nicht wer ich bin“ eröffnet uns Gruber beim Opener „Escape Fantasy“, die Gitarre klingt, ja doch, wavig, doch der Hall, der Max Gruber-Chor darüber, ist es nicht – andere haben diesbezüglich schon die Münchener Freiheit erwähnt – und das ist nachvollziehbar. Erstaunlich daran ist jedoch, dass das nichts ausmacht, auch wenn man die Münchener Freiheit weniger schätzen sollte.

Gruber macht sich nackt

Das ist eine Stärke des Albums, im musikalischen Bereich, vor allem aber im lyrischen: hier wird nicht auf Teufel komm raus die Distanz zum anrüchigen Schlager gesucht. Gruber macht sich scheuklappenfrei komplett nackt, auf eine egozentrische Weise, sicherlich. Na und? „Du spuckst mir ins Gesicht, scheißegal, ich liebe Dich“ – da kann man Bilder oder Doppeldeutigkeiten vermuten, vom „inneren Irgendwas“ schwafeln, dem/der damit Ausdruck verliehen wird; oder man kann es wörtlich nehmen, als Zustandsbeschreibung eines An-sich-Zweifelnden. „Wanna change my clothes, my hair, my face“ – beim Boss haben wir das in den 80ern (es war nicht alles schlecht), imitiert und nachgegrölt, bei Gruber kann man das ruhig ebenso tun, wir alle kämpfen gegen unsere Dämonen, wie es das Covermotiv ebenso plakativ wie einfach darstellt. Ja, Egozentriker können schon schwer nerven – wenn der Egozentriker von sich ebenso genervt ist, sieht das jedoch ganz anders aus.

Drangsal und das Heartland-Saxophon

Und die Musik: Hui, Patrik Majer, hat produziert, der hat das schon gemacht bei den No Angels sowie bei Rosenstolz. Letztere haben ein paar Songs, denen in Punkto emotionaler Wahrhaftigkeit wenige das Wasser reichen können. Ist so. Gut, Drangsal kann das. Ebenso wie die meisten Instrumente einspielen („Ich bin der beste Drangsal-Gitarrist, den es gibt“ – Gruber zu Britta Helm (Visions)). Trotzdem dürfen seine Kumpels wie Ilgen-Nur, Max Rieger (Die Nerven) oder Sam Vance-Law (Violine) mithelfen sowie sein Podcast-Kollege Casper mit Rat zur Seite stehen. Wette, dem gefällt das Heartland-Saxophon in „Schnuckel“ ebenso wie mir. Was bei all dem herauskommt: Großer Pop. Ganz großer sogar. Bin begeistert.

„Exit Strategy“ von Drangsal erscheint am 27.08.2021 bei Caroline. (Beitragsbild von Max vom Hofe)

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