Dr. John: Things Happen That Way

Dr. John Credit Sandrine Lee

Der 2019 verstorbene Dr. John begeistert auf „Things Happen That Way“ mit Country-Songs

Als Dr. John, der im bürgerlichen Leben Malcolm John „Mac“ Rebennack Jr. hieß, vor drei Jahren starb (siehe unseren Nachruf), verlor New Orleans nicht nur einen seiner originellsten und eigenwilligsten Musiker, sondern auch jemanden, der wie kaum ein anderer tief verwurzelt war in den unzähligen Verästelungen der musikalischen Tradition dieser sagenhaften Stadt am Fuße des Mississippi. Nun erscheint mit „Things Happen That Way“ die letzte Platte, an der Dr. John bis kurz vor seinem Tod gearbeitet hat. Und nicht nur den musikalischen Puristen wird wohl bei der Ankündigung zunächst der Mund offen stehen bleiben: Der für seinen sumpfigen, irgendwo zwischen Funk, Jazz, R&B-Grooves und Voodoo oszillierenden Sound bekannte Dr. John spielt darauf, vom ersten bis zum letzten Song, Country-Nummern.

Dr. John kehrt zu seinen Einflüssen zurück

Nur die wenigsten dürften wissen, dass Dr. John damit tatsächlich zu ganz persönlichen, und zwar sehr frühen musikalischen Einflüssen zurückkehrt: Im Ladens seines Vaters, der im East End von New Orleans Radios reparierte und Platten verkaufte, lief von morgens bis abends Country & Western. Und wie schon sein Vater, der den jungen Mac mit lokalen Jazzgrößen wie King Oliver und Louis Armstrong und später auch mit Rock & Roll in Berührung brachte, zeigt sich auch Dr. John auf „Things Happen That Way“ alles andere als musikalisch kleingeistig – ein Vorurteil, das der Country-Musik hierzulande leider beharrlich anhaftet.

Stattdessen entlockt er, auf eine rundum faszinierende Art und Weise, den zwölf Nummern nicht weniger als ihre Essenz, ihr Mark und Bein. Sie alle handeln von den großen Fragen des Lebens: von menschlicher Unzulänglichkeit, der Zerbrechlichkeit des Guten, von leisen Sehnsüchten und einem erfahrungsgesättigten Rückblick auf den eigenen Weg, der niemals gerade verläuft und dem immer erst (wenn überhaupt) im Nachhinein so etwas wie ein Sinn abgerungen werden kann.

Augenzwinkernde Melancholie

Dr. John Things Happen That Way Cover Rounder Records

„Things Happen That Way“ eröffnet leise, mit einer Interpretation des Willie-Nelson-Klassikers „Ain’t it Funny How Time Slips Away“. In der ersten Strophe, die er solo am Klavier intoniert, klingt Dr. Johns Stimme präsent und zart, fast verletzlich, bevor sie dann, mit dem Einsetzen der in lässiger Zurückgenommenheit spielenden Band, eine augenzwinkernde Melancholie annimmt und in einen Sound mündet, der die Schwüle eines Sommerabends in New Orleans fast körperlich spürbar werden lässt. Auch weiteren Größen der Country-Welt erweist Dr. John die Ehre, etwa Hank Williams, mit einem fast rezitativischen „I’m So Lonesome I Could Cry“, das vom sehnsüchtigen Jammern einer Lap-Steel-Gitarre begleitet wird, und Johnny Cash, dessen „I Guess Things Happen That Way“ dem Album seinen Titel gibt und es zugleich beschließt.

Das wohl spannendste Cover ist „End Of The Line“, im Original von den Travelling Wilburys. Dr. John und seinen wie gewohnt fabelhaften Begleitmusikern gelingt es, den Song nicht nur vollständig zu entstauben; sie lassen ihn, unterstützt vom Engelsgesang des großen Aaron Neville und der hierzulande bedauerlicherweise (noch?) kaum bekannten Katie Pruitt, derart frisch klingen, dass man kaum glauben mag, den Song jemals schon gehört zu haben.

Neue Dr. John-Stücke

Auch neue Eigenkompositionen finden sich auf „Things Happen That Way“. Sie fügen sich nahtlos in den Sound der Platte: „Holy Water“ handelt von jener Zeit in den Sechzigern, die Dr. John wegen Drogendelikten im Gefängnis verbracht hat, und „Give Myself A Good Talkin’ To“ ist eine nicht ganz erst gemeinte Ode an die Launen des Schicksals. Mit Lukas Nelson (dem Sohn von Willie Nelson) und dessen Band Promise Of The Real, die vor einigen Jahren schon Neil Young als Begleitband ordentlich eingeheizt haben, hat Dr. John  für das Album einen seiner größten und abgründigsten Songs neu eingespielt: „I Walk On Guilded Splinters“. Seine Stimme klingt dabei um keinen Deut weniger beschwörend und spielfreudig als auf der ursprünglichen Aufnahme von 1968 – allenfalls ein bisschen zufriedener.

Strikte Genredenken sind fehl am Platz

In der alten Gospel-Nummer „Old Time Religion“, die Dr. John im Duett mit Willie Nelson singt, kulminiert dann alles, was dieses Album so außergewöhnlich macht: Nelsons Balsam-Stimme trifft hier auf Dr. Johns eigenwilligen, rhythmisierten Gesang und sein Klavierspiel, das mit keiner Note seine Herkunft aus dem ebenso undurchdringlichen wie unerschöpflichen musikalischen Sumpf von New Orleans verleugnet. Und ganz nebenbei stellen sie damit unter Beweis, dass jedes strikte Kategorien- oder Genredenken fehl am Platz ist, wenn es um das geht, was wirklich zählt – und dass eben dies, das Wichtigste von allem, so schlicht ist wie ein Country-Song, und zugleich so rätselhaft wie der Sound der Musik, die aus New Orleans kommt und auch weiterhin kommen wird, wenn fürderhin auch nicht mehr mit der Stimme des „good doctor“.

„Things Happen That Way“ von Dr. John erscheint am 23.09.2022 bei  Rounder Records / Concord / Universal Music. (Beitragsbild von Sandrine Lee)

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