Donal Ryan: Die Sache mit dem Dezember

Ein bravouröses literarisches Kunststück

von Gérard Otremba

Der irische Autor Donal Ryan erfindet mit Johnsey Cunliffe, der Hauptfigur seines Romans Die Sache mit dem Dezember, einen jener tragisch-komischen Helden, mit denen es die Welt nicht gut meint. Aufgrund seiner ausgewiesenen körperlichen Fülle und Sprachlosigkeit, Johnsey spricht, meist nuschelnd, nicht mehr als unbedingt nötig und das ist schon sehr wenig, gepaart mit einer allgemeinen Langsamkeit auch im Denken, hat er von klein auf die Rolle des Außenseiters und Sonderlings, des Einfältigen, des Dorfdeppen in seinem heimatlichen kleinen irischen Nest inne und wird ab einen bestimmten Zeitpunkt seiner Kindheit von anderen auf teileweise brutalste Art drangsaliert und schikaniert. Johnseys Martyrium nimmt auch als Jungerwachsener kein Ende und nachdem er besonders übel zusammengeschlagen wird, landet er im Krankenhaus, wo er mit seinem Zimmernachbarn, dem durch einen Unfall arg ramponierten „Nuschel-Dave“ nach und nach Freundschaft schließt.

Beide sind sie außerdem von der schönen Stimme ihrer Krankenschwester Siobhán angetan, denn sowohl Johnsey als auch Dave sind durch die erlittenen Verletzungen zunächst blind. Nach Wiedererlangung des Augenlichtes erweist sich Siobhán für Johnsey auch äußerlich durchaus attraktiv. Mit den beiden findet er zum ersten Mal tatsächlich Freunde in seinem Leben, unproblematischer wird dieses für Johnsey jedoch nicht, schließlich steht er vor einer schwierigen und weitreichenden Entscheidung, als das Land seiner verstorbenen Eltern für ein womöglich lukratives und zukunftsträchtiges Entwicklungsprojekt freigegeben wird. Der ganze Ort wartet auf Johnseys Verkaufsunterschrift, um mit dem Bau eines Komplexes aus Hotels, Häusern und Geschäften beginnen zu können. Doch Johnsey lässt sich Zeit und gerät mal wieder in alptraumhafte Situationen. In Donal Ryans irischem Städtchen tummeln sich allerhand skurrile und schräge Gestalten, die vom Autor mit viel Liebe und noch mehr Humor skizziert werden. Doch nie lachen wir über die Protagonisten von Die Sache mit dem Dezember, sondern stets mit ihnen. Von subtilen kleinen ironischen Anspielungen bis hin zu brüllend komischen Ausbrüchen beherrscht der 39-jährige Ryan die Klaviatur der Heiterkeit.

„Vielleicht würde ja ein Wunder geschehen, so wie vor Jahren in Cork, wo die Marienstatue zum Leben erwacht war, Hallo in die Runde gesagt und Tränen aus Blut über den Zustand der Welt vergossen hatte. Mutter sagte, es wäre der Zustand der Hirnverbrannten gewesen, die sie so blöde angeglotzt hatten, über den sie hätte weinen müssen. Da müsse doch jeder weinen, wenn einem Tag und Nacht der Rosenkranz entgegengebrabbelt würde.“

Donal Ryan erzählt Die Sache mit dem Dezember mit Verve und Leidenschaft. Ein großer humanistischer Roman, der die Vielfalt und das Außenseitertum feiert, ein bravouröses Kunststück, das viele Leser in ihr Herz schließen werden.

Donal Ryan: „Die Sache mit dem Dezember“, Diogenes Verlag, Hardcover, übersetzt von Anna-Nin Kroll, 978-3-257-06927-3, 19,90 €.

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