Dirk von Lowtzow: Aus dem Dachsbau

Tocotronic live 2018 in Hamburg Große Freiheit 36 by Gérard Otremba

Biographische Erinnerungsminiaturen von Dirk von Lowtzow

Als Sänger, Songwriter und Gitarrist von Tocotronic gehört Dirk von Lowtzow seit über 20 Jahren zu den wichtigsten Personen im deutschen Rock-Pop-Geschäft. Indie-Nerds, Hamburger Schule, Diskurs-Pop, Top-Ten-Platzierungen in den deutschen Album-Charts. Mit stets wandelbarer Musik, gut nachvollziehbar auf den letzten drei bei Sounds & Books besprochenen Platten Wie wir leben wollen, Tocotronic und Die Unendlichkeit,  mischten Tocotronic den Indie-Rock auf und okkupierten wie nebenbei den Mainstream.

Dirk von Lowtzows Einblicke in die Vergangenheit

Dirk von Lowtzow Aus dem Dachsbau Cover Kiepenheuer & Witsch

Mit dem hat Aus dem Dachsbau, die erste Buchveröffentlichung von Dirk von Lowtzow nicht viel gemein. Kein Berlin-Hipster-Roman, kein „Wie-entrümpele-ich-meine-Wohnung-und-werde-glücklich-dabei“-Ratgeber und auch kein die Kritik spaltendes Werk mit historischem Hintergrund. Dirk von Lowtzow greift den konzeptuellen Faden des letzten Tocotronic-Albums auf und erweitert das Sujet mit den Mitteln der Prosa. Arbeitete sich von Lowtzow auf Die Unendlichkeit an seiner eigenen Biographie ab, so gewährt der 1971 in Offenburg geborene Musiker auch in Aus dem Dachsbau Einblicke in seine Vergangenheit. Das alphabetisch von A-Z gegliederte Buch beginnt mit „ABBA“ und endet mit „Zeit“. ABBA hörte immer Dirk vom Lowtzows Nachbarstochter und für ihn waren die „Harmoniegesänge und Discobeats“ das Versprechen, „Einsamkeit und Isolation abstreifen zu können, aufgehoben zu sein in Musik und bunten Licht und mich im Tanz glücklich zu erleben“.

Wenige intime Details

In Miniaturen, kleinen Anekdoten, Gedichten, Zeichnungen und Kurzgeschichten streift von Lowtzow durch sein Leben. Die mit „Geburtstag“ betitelte Erzählung über den Schriftsteller Hubert Fichte und von Lowtzows Besuch an dessen Grab zeigt das ganze schriftstellerische Potential des Tocotronic-Frontmannes. Selbstverständlich hat von Lowtzow mit Aus dem Dachsbau keine typische Musikerbiographie verfasst, die Klatsch und Tratsch bedient. Intime Details wie die Folgen von zu viel Alkohol während der Jugendskifreizeit 1986, der Idiotentest wegen Trunkenheit, seine Flugangst, oder die Bekenntnis, „der Mensch mit dem größten Klopapierverbrauch auf Erden“ zu sein, offenbart uns Dirk von Lowtzow trotzdem.

Ein literarischer Erinnerungsspaziergang mit Dirk von Lowtzow

Manchmal führt der Künstler einen in die eigene Vergangenheit, denn jeder, der im ähnlichen Alter wie von Lowtzow ist, wird sich noch gut an die Fernsehwerbung mit dem markanten letzten Spruch „von Mattel“ erinnern. Im mit „Barbie“ betitelten Kapitel springt der Tocotronic-Sänger mühelos vom von Barbie-Puppen bewohnten Kindheitsalbtraum über die Fernsehwerbung hin zum „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie. Dirk von Lowtzows literarischer Erinnerungsspaziergang ist manchmal melancholisch, manchmal witzig, manchmal skurril, und immer von einem behutsamen und unprätentiösen Ton geprägt.

„Daniel Dachs“

Unterbrochen werden seine kurzen Ausführungen von privaten Bildern und eigenen Zeichnungen, die er als Jugendlicher in „langweiligen Schulstunden“ anfertigte. Comics mit Figuren wie dem „Operettenbär“ und einem melancholischen Dachs namens Daniel, auf den der Buchtitel zurückzuführen ist. Stadt, Natur, Tiere, Songs von Neil Young und der früh verstorbene beste Freund Alexander ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Dirk von Lowtzows Text-Miniaturen hinterlassen ein wehmütiges Flair und changieren zwischen der Sehnsucht nach einem sicheren Hafen sowie der Gefahr des Ausbruchs. Dirk von Lowtzows einfühlsamer Schreibstil macht die Lektüre zu einem echten literarischen Gewinn.

Dirk von Lowtzow: „Aus dem Dachsbau“. Kiepenheuer & Witsch“, Hardcover, 192 Seiten, 978-3-462-05079-0, 20 € (Beitragsbild von Gérard Otremba).

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