Die HAM.LIT 2020 in Hamburg

HAM.LIT 2020 Uebel & Gefährlich Masha Qrella by Gérard Otremba

Die 11. Auflage der HAM.LIT im Uebel & Gefährlich und Terrace Hill

Die „Lange Nacht junger Literatur und Musik“ in Hamburg (HAM.LIT) ging 2020 mit der nunmehr elften Ausgabe über die Bühne. Am 06.02. standen erneut die Räumlichkeiten im obersten Stockwerk des Bunkers an der Feldstraße auf St. Pauli, also das Uebel & Gefährlich samt Turmzimmer sowie das Terrace Hill, im Mittelpunkt, um die insgesamt achtzehn Acts aus den auch bei Sounds & Books so beliebten und beheimateten Themen innerhalb von vier Stunden zu beherbergen. Wie bereits in den letzten Jahren konnten die Veranstalter schon weit im Vorfeld ein ausverkauftes Haus vermelden.

Thomas Pletzinger eröffnete mit seiner Dirk-Nowitzki-Biographie

In vielen ausverkauften Hallen spielte Basketballstar Dirk Nowitzki 21 Jahre lang für die Dallas Mavericks in der NBA. Die letztes Jahr zurückgetretene, lebende Sportlegende war zwar nicht persönlich anwesend, stand jedoch zunächst im Fokus des versammelten Publikums im Ballsaal des Uebel & Gefährlich. Bevor es sich ab 20 Uhr für jeweils drei parallel laufende Lesungen zu entscheiden galt, waren alle Augen auf Thomas Pletzinger gerichtet, der 2019 mit „The Great Nowitzki“ eine Biographie bei Kiepenheuer & Witsch über den in Würzburg aufgewachsenen Superstar veröffentlicht hat und die HAM.LIT 2020 nach der Begrüßungsrede von Alexander Gumz und den Dankensworten der Initiatoren Lucy Fricke und Daniel Beskos eröffnete.  In den 25 Minuten Lesezeit  führte uns Pletzinger das letzte Heimspiel Nowitzkis für Dallas bildhaft vor Augen und gab Einblick in eine skurrile, privat-gesellschaftliche Begegnung Nowitzkis mit einer „Fan“-Familie in einem Restaurant. Und hinterließ die Sportfreunde im Saal mit wehmütigen Gefühlen. Dieses Buch sei aber nicht nur Sportfans empfohlen.

Dana von Suffrin und Sebastian Stuertz

Die Teilung des HAM.LIT-Programms erfolgte anschließend. Während im Turmzimmer Deniz Utlu aus seinem bei Suhrkamp erschienenen Roman „Gegen Morgen“ und im Terrace Hill Artur Dziuk aus „Das Ting“ (dtv) lasen, nahm Dana von Suffrin auf der Bühne im Ballsaal Platz. Für ihren Roman „Otto“ erhielt die Autorin den Debütpreis des Buddenbrookhauses 2019 sowie zahlreiche positive Kritiken, darunter die ultimative Lobhudelei von Katharina Herrmann. Nach dem Eindruck der letztlich zu kurzen Lesezeit zu urteilen, kann man sich den überschwänglichen Rezensionen über die Geschichte des jüdischen Familienpatriarchen, liebe- und humorvoll aus der Sicht seiner Tochter Timna erzählt,  nur anschließen. Im März dieses Jahres erscheint bei btb „Das eiserne Herz des Charlie Berg“ von Sebastian Stuertz. Der in Hamburg lebende „Medienkünstler“ bot schon mal vorab erste Eindrücke aus seinem über 700 Seiten fassenden literarischen Debüt. Eine spektakuläre Coming-of-Age-Tour-de-Force aus den frühen 90er-Jahren, wild und mit zahlreichen komischen Stellen versehen. Könnte sich zu einem Highlight der Frühjahresnovitäten entwickeln.

Cihan Acar und Masha Qrella bei der HAM.LIT 2020

Der nächste Romandebütant zog das Sounds & Books-Augenmerk im Turmzimmer auf sich. Dort unterhielt Cihan Acar die Gäste mit Passagen aus dem in wenigen Tagen bei Hanser Berlin erscheinenden Buch „Hawaii“. Mit der Pazifiktrauminsel hat der Plot des 1986 geborenen Autors nichts zu tun, vielmehr mit dem gleichnamigen Problembezirk in Heilbronn, durch das Acars Protagonist Kemal Arslan streift. Der 21-Jährige steht vor einer neuen Lebensphase, nachdem ein Unfall seine Fußball-Karriere jäh zerstört hat. Acars lakonischer Stil und die Selbstironie seiner Hauptfigur sind der Faustpfand dieses Buches, das in die Leseliste für die nächsten Wochen aufgenommen wird. Traditionell geht bei der HAM.LIT um 21.30 Uhr der Vorhang für den ersten Musikbeitrag auf. So auch diesmal, als  Sängerin, Gitarristin und Bassistin Masha Qrella gemeinsam mit Andreas Bonkowski (Perkussion, Keyboard) und Chris Imler (Schlagzeug) die Konzertbühne im Ballsaal des Uebel & Gefährlich betrat. Die Berliner Songwriterin hat unter dem Titel „Woanders“ Gedichte des 2001 verstorbenen Schriftstellers Thomas Brasch vertont, Gedichte über die Einsamkeit, von Masha Qrella in einen magischen Indie-Electro-Art-Pop gegossen. Erstaunlich und großartig.

Stella Sommer und OVE

Einsam, doch auch wieder getröstet fühlt man sich häufig mit der Musik von Stella Sommer, die den musikalischen Reigen im Terrace Hill fortsetzte. Ob als Frontfrau von Die Heiterkeit, oder mit ihrem Soloalbum „13 Kinds Of Happiness“, stets schwingt diese unendliche Melancholie durch Sommers würdevoll-schönen Gesang. Nicht anders während ihres Auftritts bei der HAM.LIT 2020, den sie auf einem Schemel sitzend und sich selbst mit einem zarten E-Gitarrenspiel begleitend, absolvierte und mit Stücken wie „Große Namen“, „Im Zwiespalt“ oder „Was passiert ist“ faszinierte. Verabschieden müssen wir uns leider von OVE, alias Ove Thomsen, der seine Band nach zehn Jahren auflöst. Endgültig dann am 27.02. im Knust, wenn OVE in voller Besetzung und Gästen ein letztes Konzert spielen werden. Bei der HAM.LIT trat der in Hamburg lebende Songwriter, der auch als Mitglied von Torpus & The Art Directors den Lesern dieses Magazins bekannt sein dürfte, solo auf. Man wird sie vermissen, die heiter-intellektuellen Texte von „Wenn es keine Brücke gibt“, „Im Hamsterrad“ oder „Zum Download bereit“, die OVE an diesem Abend u.a. spielte, und hofft, OVE in einer anderen Form demnächst wiederzubegegnen.

Die HAM.LIT 2020: Sportlich, ambitioniert, unterhaltsam und kurzweilig

Die volle Aufmerksamkeit genoß am Ende des Abends Lennardt Loß. Sein bei Weissbooks veröffentlichter und bereits mit dem Hotlist-Preis-versehener Roman „Und andere Formen menschlichen Versagens“ reiht sich in die Debütantenriege der diesjährigen HAM-LIT ein. Loß machte das Publikum mit zwei seiner Hauptfiguren bekannt, einem mir einer Kugel im Bauch lebenden Ex-RAF-Terroristen sowie einem 4. Offizier eines Kreuzfahrtschiffes, der Beschwerden nach einem Vorfall bei dem „Captain Diner“ beschwichtigen muss. Abgefahrene, mit trockenem Monty-Python-Witz garnierte Story. Die Kollegen bei der Hamburger Morgenpost bezeichneten mal die HAM.LIT als „cool“, ZEIT Online als „sexy“, Sounds & Books setzt noch sportlich, ambitioniert, unterhaltsam und kurzweilig hinzu. Auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr.

Kommentar schreiben