Die Alben des Jahres 2022 von Michael Thieme

Poppy Ajudha Photo Credit Harry McCulloch

Sounds & Books-Mitarbeiter Michael Thieme stellt seine Alben des Jahres 2022 vor

Subjektiv sind solche Listen ja immer, dieses Jahr ist meine jedoch noch subjektiver als sonst. Vieles, was als Kanon des guten Geschmackes gilt und somit in diversen Musik-Redaktions-Bestenlisten steht, habe ich gar nicht hören können (manchmal auch nicht wollen, zugegeben). So wenig Zeit, so viel beeindruckende Klangkunst. Verschiedene Genres zu schätzen ist da nicht unbedingt hilfreich. Also – keine „Besten“-Liste hier von mir, sondern 25 Platten, die ich 2022 am liebsten gehört habe: Auf geht’s:

Meine Alben des Jahres 2022:

1. Poppy Ajudha: The Power In Us

Die Talentdichte bei modernen, urbanen Sounds zwischen Jazz, Hip Hop, Soul oder House im UK ist atemberaubend. Meine Lieblingsscheibe aus dieser Ecke ist „The Power In Us“ von der Londonerin Poppy Ajudha, auf der Themen wie mentale Gesundheit, Empowerment und Gesellschaftskritik musikalisch divers, aber immer mitreißend dargebracht werden. (Beitragsbild: Poppy Ajudha, Credit: Harry McCulloch)

2. Connie Constance: Miss Power

Noch mehr Power mit ähnlichem Background, musikalisch noch ein wenig diverser als Poppy Ajudha: Der Zweitling von Connie Constance klingt etwas aggressiver und punkiger als das oben erwähnte Album – beschert jedoch ebenso großartige Tanz-Hymnen. Beide Platten sind Perlen, die noch viel zu sehr unter dem Radar liegen.

3. Ultha: All That Has Never Been True

Zumindest bei Genre-Spezialisten trifft sowas beim aktuellen Album der Kölner Black-Metal-Innovatoren Ultha weit weniger zu.. Deren Ende März ankündigungslos unters Volk gebrachte Album hinterlässt ebenso wie die dazugehörenden Live-Shows offene Münder und Faszination. Mentale Gesundheit und die Gesellschaft an sich: Themen, die auch in Düsterszenen mit Erkenntnisgewinn verhandelt werden können. Musikalisch ist dieser Black Metal/Post Punk-Hybrid sowieso allererste, tiefschwarze Sahne.

4. The Afghan Whigs: How Do You Burn

Es hilft enorm. neue Songs einer Lieblingsband live zu erleben, um sie komplett ins Herz zu schließen. Die Live-Shows der Afghan Whigs unterstützten damit jedoch höchstens, dass ihr letztes Album überall so überschwänglich gelobt wird (einige Gigs fanden vor der Veröffentlichung Anfang September statt). Ein Konzert des Jahres fürwahr (https://www.rockstage-riot-rheinmain.de/afghan-whigs-2022.html), aber eben auch eine umwerfende, großartige Platte des Rock- und Soul-Veteranen Greg Dulli und seiner hoch motivierten Truppe.

5. Die Nerven: Die Nerven

„Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie“  Die Nerven, schrieb Kollege Sebastian Meißner treffend in seiner Rezension bei Sounds & Books, „sind so nah am Puls der Zeit, dass wir alle wahrscheinlich erst in ein paar Jahren realisieren werden, wie wichtig sie wirklich sind.“ ’nuff said.

6. Shygirl: Nymph

Nach unzähligen Singles und Features waren die Erwartungen an das Debütalbum von Blaine Muise aka Shygirl enorm hoch – und sie wurden nicht enttäuscht. Progressiver R&B von der aktuellen Queen des Hyper.Pop.

7. Rosalía: Motomami

Oder ist Rosalía diese Königin? Immerhin findet sich deren drittes Album auch auf den meisten anderen Jahresendlisten, ihre Tour führte durch die größten Arenen und Genregrenzen sind der ehemaligen Flamenco-Modernisiererin ganz genauso schnurz. Reggaeton, Trap, Latin-Pop – die Spanierin bedient sich großzügig globaler Sounds und schafft dabei etwas künstlerisch Einzigartiges, zu dem man kaum die Füße stillhalten kann. Nicht ohne dabei von Vorwürfen bezüglich kultureller Aneignung verschont zu werden, allerdings. 

8. Messa: Close

Ich gebe zu, diesem italienischen Quartett ziemlich verfallen zu sein – erst recht, nachdem ich sie live erleben durfte. Die ohnehin schon großartige Diskografie wurde bisher von jedem neuen Player getoppt, Album Nummer drei stellt den bisherigen Höhepunkt dar. Harter, doomiger Rock, der ohne elektronische wie jazzige Einflüsse so nicht denkbar ist. Im Frühjahr wieder live unterwegs, bitte hingehen.

9. Oceans Of Slumber: Starlight And Ash

Auch hier haben wir eine Formation mit Wurzeln im Doom- sowie Progressiv-Metal, bei denen die Einflüsse aus Jazz, Blues und Country immer mehr Raum einnehmen im Gesamtsound.  Seitdem Cammie Beverly, inzwischen Angetraute des Gründers/Drummers Dobber Beverly, bei der Formation singt, sind Schubladen für sie zu klein geworden.

10. Gggolddd: This Shame Should Not Be Mine

Der Weg der Niederländer, die als Gold starteten (was die Google-Suche weit mehr erschwerte als die neue Schreibweise) führte ebenso vom düsteren, satanischen Rock von The Devil’s Blood (bei der Gitarrist Thomas Sciarone einst tätig war) über Alternative-Rock zu immer mehr elektronischen Spielereien sowie Themen mit weit mehr Relevanz wie Tiefgang. Zu verdanken ist dies vor allem Milena Eva, der Sängerin, die auf diesem Album ihre erlittene Vergewaltigung thematisiert.

11. Venom Prison: Erebos

Der vierte Abriss der walisischen Extrem-Metal-Combo um Sängerin Larissa Stupar ist wahrscheinlich die brutalste Lieblingsplatte in diesem Jahr – wenn es um Themen geht wie die fleischverarbeitende Industrie, Kriegstreiberei oder allgemein das Patriarchat, ist so ein Sound jedoch auch mehr als angemessen. Wer die Melodien in diesem Gemetzel findet, bekommt sie allerdings nicht mehr so schnell aus dem Schädel.

12. Brutus: Unison Life

Noch so eine Band, die sich live in die Herzen der Zuschauer spielte und ein Knalleralbum nach dem anderen hervorbringt. „Unison Life“, das dritte Werk der Belgier, kratzt schon an der Perfektion. Und macht wieder Bock auf die Live-Umsetzung im Frühjahr.

13. King Hannah: I’m Not Sorry, I Was Just Being Me

„Hypnotisch-betörender Americana-Noir aus Liverpool“ konstatierte der S&B-Boss zurecht. Cool (diese Stimme!) und gleichzeitig hot (diese Gitarren!). Meilenstein.

14. Tara Nome Doyle: Værmin

Die Berlinerin verschönte bereits den Januar mit ihrem zweiten Album, indem sie mit hinreißenden, stimmlichen Klangfarben ebenso zu brillieren weiß wie mit den Sounds von Streichern, Klavier und Drums. Ein unterschätztes Kleinod.

15. Rosa Anschütz: Goldener Strom

Noch eine Berlinerin, der mehr Ruhm zuteil werden sollte.  Der Zweitling klingt diverser als der Vorgänger „Votive“ und ist nicht minder liebenswert.

16. Kreator: Hate Über Alles

Wie man es als Thrash Metal-Band schafft, nicht nur in Würde zu altern, sondern im Gegensatz zu den meisten Kollegen auch noch inhaltlich relevant zu bleiben, zeigt das 15. Album der deutschen Institution auf eindrucksvollste Weise.

17. Konvent: Call Down The Sun

Death-und Doom-Metal sind mMn ein Match made in Heaven. Die vier Däninnen wandeln auf ihrem zweiten Werk auf äußerst dynamischen Pfaden und klingen angepisster denn je.

18. Sudan Archives: Natural Brown Prom Queen

So kann eine Geige klingen, ernsthaft? Krass.

19.Ibeyi: Spell 31

Magischer Future-R&B. Mit Black Flag-Cover.

20. Rich Ruth: I Survived, It’s Over.

Ein Mann alleine erschafft einen riesigen Klangkosmos zwischen Spiritual Jazz, Krautrock und Psychedelic. Mega-Album.

Weitere Perlen 2022:

Sylvaine: Nova

Grace Cummings: Storm Queen

A..A.Williams: As The Moon Rests

Emma Elisabeth: Some Kind Of Paradis

Casper: Alles war schön und nichts tat weh

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