In Europa fand Dexter Gordon nicht nur eine zweite Heimat, sondern auch seine musikalische Angriffslust wieder. Dieser Mitschnitt zeigt ihn und seine Band in absoluter Bestform.
von Sebastian Meißner
Wie so viele Jazzer aus den USA, die nach Ende der große Bebop-Ära in ihrer Heimat als veraltet und überholt abgestempelt wurden (u.a. Bud Powell, Kenny Drew, Art Taylor, Sonny Criss, Nathan Davis, Mezz Mezzrow, Lucky Thompson, Johnny Griffin oder Chet Baker), zog es auch Dexter Gordon irgendwann nach Europa. Vor allem in Kopenhagen und Paris hatten sich vitale Jazz-Szenen entwickelt, in denen die US-Amerikaner sich pudelwohl fühlten. Zum einen, weil dort der Jazz verbunden wurde mit anderen Künsten wie der Malerei, zum anderen, weil es dort keine so spürbaren Rassismus gab wie in der Heimat. Vor allem aber wurden sie auf dem alten Kontinent hoch angesehen.
„Ich hatte keine Ahnung, wie sehr der Jazz in Europa geschätzt wird“, sagt er seinem Biografen. „Das war eine regelrechte Offenbarung. All diesen Respekt zu spüren, als Musiker, als Künstler. Man trifft all diese Menschen, die alles kennen, was man je gemacht hat. In Schweden, Dänemark, Italien, England, Belgien. Überall“, erzählte Gordon, der die längste Zeit in Kopenhagen lebte, später in einem Interview.
Rückkehr in die zweite Heimat
Der Saxofonist ging zwar 1979 (nach etwas mehr als zehn Jahren in Europa) zurück in die USA, kam jedoch immer wieder in seine zweite Heimat zurück. So auch 1979, als er mit Pianist Kirk Lightsey, Bassist Rufus Reid (und was für ein Bassist das ist!) und Schlagzeuger Eddie Gladden beim North Sea Jazz Festival auftrat. Es war eine triumphale Rückkehr mit einem knackigen, energetischen Set, das nur so sprüht vor Spielfreude. Ein Highlight dieser Konzerts war ein „Tenor Battle“, das sich Gordon mit Illinois Jacquet, Arnett Cobb, Buddy Tate und Dexter Budd Johnson gab. Die fünf Ausnahmesaxofonisten stellten ihre Improvisationsfähigkeiten bei Lionel Hamptons „Flying Home“ unter Beweis. Die Aufnahmen sind nun erstmals auf limitiertem weißen Vinyl erhältlich.
Dexter Gordon on fire
„Dexter Gordon: North Sea Jazz Concert Series – Live 1979“ umfasst drei Stücke („It’s You Or No One“, „Flying Home“ und „More Than You Know“) bei einer Gesamtspielzeit von knapp 45 Minuten. Die hervorragende Soundqualität dieser Aufnahmen, die auch die ausgelassene Stimmung im Publikum perfekt einfängt, machen diesen Mitschnitt nicht nur für Dexter-Enthusiasten interessant. Hier hört man, welche Kraft der (wieder)befreite Jazz in Europa entwickelte, wie beseelt und inspiriert Gordon fernab seiner Heimat de Liebe zur Musik wiederentdeckte.
Es ist dies die zweite Veröffentlichung der North Sea Jazz Concert Series (der erste war der Mitschnitt von Ella Fitzgerald aus demselben Jahr, ebenfalls großartig). Man kann nur hoffen, dass noch viele weitere Teile folgen werden!
„Dexter Gordon: North Sea Jazz Concert Series – Live 1979“ erscheint am 31.5. über North Sea Jazz Concert Series / Bertus. (Beitragsbild: Albumcover)