Nach der erfolgreichsten Halbserie der Klubgeschichte startet der FC St. Pauli mit viel Selbstvertrauen in die neue Fußball-Saison der 2. Fußball-Bundesliga
von Gérard Otremba
Der Aufschrei im Umfeld war groß, als die Vereinsführung Trainer Timo Schultz während der Winterpause der letzten Saison entließ. Als Spieler, Co-Trainer und Trainer von Juniorenmannschaften avancierte Schultz zu einer Art Vereinsikone und Identifikationsfigur. Genau der richtige Mann als Trainer des Zweitligateams nach den eher unpassenden Vorgängern Olaf Janßen, Markus Kauczinski und Jos Luhukay. Nach einer ersten Saison mit zwei sehr gegensätzlichen Halbserien (Hinrunde mit 16 Punkten und Platz 15 abgeschlossen, Rückrunde mit 31 Punkten und insgesamt Platz 10 beendet), sah sich der FC St. Pauli ein halbes Jahr später unter der Ägide von Timo Schultz auf einem guten Weg zum Aufstieg ins Oberhaus. Herbstmeister mit sieben Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, es sah gut aus für die Kiezkicker aus Hamburgs Kultviertel.
Fabian Hürzeler, der Trainer-Glücksgriff für den FC St. Pauli
Doch erneut konnte das Level nur eine Saisonhälfte gehalten werden, so dass am Ende ein unglücklicher wie enttäuschender 5. Platz im Mai 2022 zu Buche stand. Und der Negativtrend setzte sich in der Hinrunde der abgelaufenen Saison fort. Nur drei Siege (darunter ein 3:0 im Derby gegen den HSV) und mit 16 Punkten rangierte der FC St. Pauli mit Platz 15 in akuter Abstiegsgefahr. Die üblichen Mechanismen griffen nun auch beim sonst gerne auch mal anders tickenden Kultklub. Zum neuen Cheftrainer befördert wurde – wahrscheinlich zur Überraschung aller – der bisherige Co Fabian Hürzeler. Ein 29-jähriger (mittlerweile 30-jähriger) Nobody aus den eigenen Reihen sollte es richten.
Und Hürzeler, der zu diesem Zeitpunkt noch keine gültige Profi-Trainerlizenz hatte, erwies sich als der absolute Glückgriff. Zehn Siege in Folge, sage und schreibe 41 Punkte insgesamt in der Rückrunde, der FC St. Pauli eilte von einem Rekord zum nächsten und klopfte plötzlich sogar an die Aufstiegstür.
Das Selbstvertrauen des FC St. Pauli
Die blieb dann (auch ausgerechnet durch zwei Nordderby-Niederlagen gegen Braunschweig und den HSV) doch geschlossen, aber man war ja froh, mit dieser irrsinnig guten Halbserie frühzeitig die Klasse gehalten zu haben. Die Fans lagen ihrem neuen Trainer-Gott (oder reicht für diese Bezeichnung eine gute Halbrunde noch nicht?) zu Füßen, am Ende hat die sportliche Führung unter Andreas Bornemann offensichtlich alles richtig gemacht. Und die erste Herrenmannschaft des FC St. Pauli viel Selbstvertrauen für die neue Saison 2023/24 getankt. Dass es zu unvermeidlichen Abgängen von Leistungsträgern kommen würde, war leider klar, aber das kennt man am Millerntor aus den letzten Jahren nicht anders (Burgstaller, Kyereh, davor Marmoush und Zalazar), und immer hat es der Verein verstanden, mit den zu Verfügung stehenden Mitteln und sinnvollen Verstärkungen, ein zweitligareifes Team aufzustellen.
Abgänge und Zugänge beim FC St. Pauli
Nun haben mit Top-Scorer Lukas Daschner (VfL Bochum) und Außenverteidiger Leart Paqarada (1. FC Köln), der auch die Funktion eines Spielmachers inne hatte, zwei Säulen des Pauli-Spiels in die erste Bundesliga aufgestiegen. Das Wort Aufstieg nehmen die Klubverantwortlichen zwar nicht in den Mund, doch forderte der sportliche Leiter Andreas Bornemann gegenüber dem Sportmagazin kicker den nächsten Schritt nach vorn. Und der muss ja nicht auf Platz 4 in der Tabelle enden. Mit der Verpflichtung des routinierten Andreas Albers aus Regensburg hat der FC St. Pauli nun einen echten Mittelstürmer in seinen Reihen, der in das von Fabian Hürzeler bevorzugte 3-4-3-System gut hineinpassen sollte.
Sieben Spiele, sieben Siege
Aus Kiel ist der erfahrene Hauke Wahl (218 Zweitligaspiele) zu den Kiezkickern gestoßen, der einen eventuellen Abgang von Jakov Medic sicherlich schnell kompensieren könnte und eine Bereicherung für den Abwehrverbund darstellt. In die Paqarada-Rolle in anderer Form scheint der aus Freiburg gewechselte Philipp Treu zu übernehmen und für die Außenbahn verstärkten sich die Paulianer noch mit dem 55-maligen luxemburgischen Nationalspieler Danel Sinani. Nun muss es dem offensichtlich akribisch arbeitenden Fabian Hürzeler „nur“ noch gelingen, seine im Prinzip eingespielte Mannschaft zu zwei gelichwertig guten Halbserien zu animieren. Obwohl man Vorbereitungsspiele bekanntlich nicht überbewerten sollte, sieben Siege in sieben Spielen könnten das Selbstvertrauen der Pauli-Spieler weiter stärken.
Die Konkurrenz
Und wie seit einigen Jahren schon gilt die 2. Bundesliga einmal mehr als die beste aller Zeiten. Die Konkurrenz wird nicht einfacher. Mit Schalke 04 und der Berliner Hertha sind wieder zwei Traditionsvereine aus der Bundesliga abgestiegen (wobei das mit der Tradition in Zeiten von Investoren z.B. bei der Hertha so eine Sache ist), andere Klubs wie Düsseldorf, Paderborn, Nürnberg, Kaiserslautern, Hannover (nun mit Marcel Halstenberg in ihren Reihen) und Karlsruhe (wohin Lars Stindl wechselte) werden nicht einfach so zu besiegen sein. Ein Überraschungsteam wird es sicherlich auch wieder geben und da wäre da noch der Stadtrivale HSV, der schon in seine sechste Zweiligasaison geht und immer aufsteigen möchte. Nein, einfach wird die Verbesserung des fünften Platzes der Vorsaison nicht. Aber mit Fabian Hürzeler als Trainer und dieser bockstarken Mannschaft ist vieles nach oben möglich.
(Beitragsbild: Logo, FC St. Pauli)