Daniel Loick: Die Überlegenheit der Unterlegenen

Daniel Loick Die Überlegenheit der Unterlegenen Cover Suhrkamp Verlag

Gegengemeinschaften im Untergrund haben bestimmte Fähigkeiten, die denen der am Licht Lebenden überlegen sind: Mit dieser These beginnt Daniel Loick seine Überlegungen zu einer Gesellschaft im Zeitalter vielfältiger Krisen

von Sebastian Meißner

„Die da oben, wir da unten“ – die vereinfachte Unterteilung der Gesellschaft in privilegiert und unterdrückt greift sicher zu kurz. Und doch hilft sie dabei, die feinen Unterschiede von Lebensläufen und -Perspektiven zu erklären. Beim Denken und Sprechen über die herrschenden Verhältnisse kommt man um Stereotype nicht umhin. Aber nur so lässt sich der Wahrheit auf den Grund gehen.

Das hässliche Leben der Mächtigen

Daniel Loick Die Überlegenheit der Unterlegenen Cover Suhrkamp Verlag

Daniel Loick, Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Amsterdam, widmet sich in seinem neuen Buch der Frage nach den Potenzialen der sogenannten Unterlegenen, also der unterdrückten, ausgebeuteten und marginalisierten Gruppen. Aus ihrer Perspektive sei das Leben der Reichen und Mächtigen nicht begehrenswert. Denn zur Ausübung ihrer Macht müssen sie ein ignorantes, gemeines, hässliches und trauriges Leben führen. Also – so Loicks These – setzen sie sich gegen die bestehenden Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft zur Wehr, wollen kein Teil der bestehenden Ordnung sein, sondern diese in Frage stellen und umstürzen.

Zum Vergleich bemüht er dazu den Maulwurf – ein Tier, das im Untergrund lebt und eigentlich ein revolutionäres Tier ist, das beharrlich wühlt, starre Strukturen untergräbt, den Boden lockerer macht. „Er stellt Durchbrüche, Aufwürfe und labyrinthartige Verbindungen her. Vielleicht ist es im Untergrund also gar nicht so ungemütlich, wie viele meinen, sondern sogar interessanter als am Licht“, sagt Loick in einem Interview mit der Wochenzeitung.

Miserables schönreden

Daniel Loick beschreibt in seinem Buch, dass die unterlegenen Gruppen dafür über spezifische Vorteile verfügen. Mit Bezug auf zum Beispiel Du Bois sagt er, dass sie nicht nur anders wissen, wollen, fühlen und träumen, sondern besser. Loick schreibt explizit, dass dies keine ideologischen Irrtümer seien, mit denen sich die Unterdrückten ihre miserable Situation schönredeten. Er unternimmt den Versuch einer systematischen Rekonstruktion und Verteidigung der – zunächst absurd anmutenden – Behauptung einer Überlegenheit der Unterlegenen.

Daniel Loick präzisiert

Natürlich muss diese Prämisse präzisiert werden. Und Loick tut genau dies. „Ich will auf keinen Fall sagen, dass aus der Unterdrückung automatisch ein Vorteil erwächst, denn oft führt sie zu totaler Vereinsamung, Isolation oder Traumatisierung. Auch ist die Unterdrückung zuweilen so eingespielt, dass sie selbst von den Unterdrückten als gerechtfertigt wahrgenommen wird“, erklärt der Autor dazu. In seinem Buch erläutert er daher, dass eine Unterdrückungserfahrung nur deshalb zu einem Vorteil werden kann, wenn sie auf eine bestimmte Weise eingeordnet wird. Überlegen seien daher nicht alle Unterdrückten, sondern nur jene, die sich zu Gegengemeinschaften zusammenschließen. Loick beschreibt, wie dies zum Beispiel auch über ästhetische Kategorien geschehen kann – etwa dann, wenn Gruppen von Menschen sich zusammentun, um schöner zu tanzen, zu malen, zu lieben als das Spießbürgertum.

Der Maulwurf im Vorteil

Daniel Loick ist sich bei seinen Ausführungen bewusst, wie nah er am Vorwurf der Romantisierung spaziert. Er will diesen Vorwurf auch gar nicht zurückweisen, sondern lädt vielmehr zur Diskussion ein. Die Lösung, so Loick, könne nicht in der Verteidigung der Normalität liegen. Nicht der dominante Standpunkt jener, die Unterdrückte integrieren wollen, sondern der Standpunkt derjenigen, die aus dem jetzigen System sowieso schon ausgeschlossen sind, müsse in einem Zeitalter vielfältiger Krisen zur Orientierungsgröße werden. Oder wie er selbst im letzten Satz dieses Buches schreibt: „Wenn der Boden zu beben beginnt, werden jene im Vorteil sein, die es gelernt haben zu graben.“

Daniel Loick: „Die Überlegenheit der Unterlegenen – Eine Theorie der Gegengemeinschaften“, Suhrkamp Verlag, kartoniert, 978-3-518-30039-8, 24 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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