Colin Steele Quartet: The Blue Nile

Colin Steele Quartet The Blue Nile Albumcover

Nach The Pearlfishers und Joni Mitchell interpretiert der schottische Trompeter Colin Steele nun The Blue Nile. Das Quartett-Album ist ein Meisterwerk.

von Werner Herpell

„The best of both worlds“, so werden magische kreative Zusammentreffen von stilistisch weit auseinander liegenden Musikern gern beschrieben. Das Beste aus beiden Welten – oft bleibt davon, bei Lichte oder mit etwas Abstand besehen, nicht viel mehr übrig als ein „Ganz nett, aber nicht nötig“. Beim neuen Album des schottischen Trompeters Colin Steele mit seinen drei Begleitern, wieder vom Hamburger Auskenner-Label Marina veröffentlicht, ist das anders. Ganz anders.

Crossover-Genie im Spiel

Colin Steele Quartet The Blue Nile Albumcover

Hier ist Genie im Spiel, wenn vier Koryphäen des britischen Jazz Lieder des legendären Glasgower Sophisticated-Artpop-Trios The Blue Nile und ihres Frontmannes Paul Buchanan in neue Sphären führen. Wenn Steele, Dave Milligan (Piano), Calum Gourlay (Standbass) und Alyn Cosker (Schlagzeug) diese atmosphärischen Preziosen mit ihren gleichsam unbegrenzten Mitteln und viel Geschmack aufpolieren, dann schillern die Stücke 20 bis 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung erneut in schönsten Farben und melancholischsten mitternächtlichen Stimmungen.

„Jazz Interpretations Of The Blue Nile Songbook“, der Untertitel dieser auch optisch (das tolle Cover-Artwork!) sehr ansprechenden Platte, trifft es ziemlich gut. Die makellosen Kompositionen werden vom Colin Steele Quartet nicht mit wüsten Improvisationen auseinandergerupft und dann notdürftig wieder zusammengeflickt (was auch möglich gewesen wäre) – nein, diese „Interpretationen“ sind so zärtlich, respektvoll und doch künstlerisch unendlich inspiriert angelegt, dass ganz viele Hörer „of both worlds“ andocken können, wenn vier brillante Jazzer eine große Pop-Band feiern.

Immer schon ein Faible für guten Pop

Wer Colin Steele, den 57 Jahre alten Trompeter aus Edinburgh, ein wenig kennt, wundert sich über dieses Crossover-Feingefühl natürlich gar nicht. Schon in den 80ern hatte er, quasi als Zeitgenosse der 1981 gegründeten The Blue Nile, für das smarte Soul-Pop-Brüderpaar Hue And Cry gespielt. Nach diversen ehrenvollen Jazz-Stationen, unter anderem an der Seite von Iain Ballamy, Ronny Jordan und Tom Bancroft, machte Steele sich selbstständig, um als Band-Chef zu reüssieren – mit einem Faible für anspruchsvolle Popmusik.

Davon zeugen „Diving For Pearls“ (2017), die Verbeugung vor der wunderbaren Musik von David Scotts Edel-Pop-Projekt The Pearlfishers (deren jüngstes Album „Making Tapes For Girls“ hier vor einem Jahr ausführlich mit Review und Interview vorgestellt wurde), und „Joni“ (2020), Steeles sensible Jazz-Hommage an die kanadische Singer-Songwriter-Ikone Joni Mitchell.

Meisterwerke von The Blue Nile

Nun also nimmt er sich liebevoll The Blue Nile vor – eine enigmatische, inzwischen aufgelöste Band, die einige der wichtigsten britischen Synth-Pop-Platten der 80er und 90er aufgenommen hat. Das Debüt „A Walk Across The Rooftops“ (1984) und vor allem den Nachfolger „Hats“ (1989) zählen viele Kenner sogar zu den besten schottischen Alben aller Zeiten. Aus diesen Meisterwerken, aber auch aus den später erschienenen „Peace At Last“ (1996) und „High“ (2004), transformieren die vier Jazz-Musiker insgesamt neun Stücke, ein weiteres stammt aus Buchanans gefeiertem Soloalbum „Mid Air“ (2012).

Steeles meist gestopfte Trompete ersetzt Buchanans schwermütige Vocals aus prachtvollen Originalen wie „Easter Parade“, „Family Life“ oder „Let’s Go Out Tonight“, wieder einmal rechtfertigt er hier seinen Ruf als großer Stilist („Der Spiegel“ schrieb einmal: „Als wenn Miles Davis ein Schotte gewesen wäre…“). Tatsächlich muss man bei diesem intensiven Ton an Davis‘ Interpretationen von George und Ira Gershwins „Porgy And Bess“ denken, aber auch an Chet Bakers Entnahmen aus dem „Great American Songbook“.

„Voller Schönheit und Emotion“

Die meisten der zehn „Interpretations“ sind tief zu Herzen gehende Balladen, nur zwei, drei Mal (etwa in „Body And Soul“ und im bluesigen „Happiness“) schaltet das Quartett, natürlich ebenso virtuos, in ein höheres Tempo. Stets spürbar ist die große Verehrung der Jazzer für den Blue-Nile-Pop. „Ich bin ein riesiger Fan“, sagt Colin Steele. „Ich liebe die Melodien und ihre Songs, aber ich liebe ganz besonders die Gesamtatmosphäre, die sie erschaffen haben.“ Und Buchanans Gesang, der ihn selbst an Miles Davis‘ Trompeten-Sound erinnere (aha!), sei „so unangestrengt und cool, aber jede Nuance voller Schönheit und mit so viel Emotion“.

Wer nun denkt, dass dieses Album vor allem ein Ding für romantische Nostalgiker und Jazz-Traditionalisten ist – bitte nicht täuschen lassen. Denn The Blue Nile wurden, abgesehen von regelmäßigen Einträgen in die ewigen Albumbestenlisten von Kritikern, ja erst kürzlich wieder auf ein großes Pop-Podest gehoben: Taylor Swift herself erwies der schottischen Band 2024 die Ehre im Song „Guilty As Sin“ mit diesen Lyrics: „Drowning in The Blue Nile/he sent me ‚Downtown Lights'“. Und natürlich findet sich „The Downtown Lights“ (von „Hats“) jetzt auch auf der Colin-Steele-Hommage.

Colin Steele führt zu The Blue Nile zurück

Mein Tipp: Zuerst diese „Jazz Interpretations“ auf CD oder Vinyl (dort allerdings mit zwei Tracks weniger) genießen – und gleich danach The Blue Nile (wieder)entdecken. Oder umgekehrt. Nach dem Motto: „The best of both worlds“.

Das Album „The Blue Nile – Jazz Interpretations Of The Blue Nile Songbook“ vom Colin Steele Quartet erscheint am 20.06.2025 auf Marina Records. (Beitragsbild: Albumcover)

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