Colin Blunstone von The Zombies im Interview

The Zombies credit Alex Lake

Sie sind eine der letzten Sixties-Bands, die noch regelmäßig neues Songmaterial veröffentlichen und damit auf Tournee gehen: The Zombies, deren Ur-Mitglieder – Sänger Colin Blunstone und Keyboarder Rod Argent – bald 78 Jahre alt werden. Ein Interview von Sounds & Books mit Blunstone über das starke Comeback-Album „Different Game“, einen großen Dokumentarfilm, die komplizierte Karriere dieser fabelhaften Barockpop-Band – und ihren irritierenden Namen.

Aufgezeichnet von Werner Herpell

The Zombies bestanden zunächst nur von 1964 bis 1967 – den Erfolg ihres heute als Popklassiker gepriesenen Albums „Odessey And Oracle“ (1968) sowie der Single-Hits „She’s Not There“ und „Time Of The Season“ verpassten sie de facto. Erst 1999 mit der erneuerten künstlerischen Partnerschaft Blunstone/Argent und in den Jahren danach als The Zombies, trat man wieder zusammen auf. Weitere sehr beachtliche Alben kamen 2011 und 2015 heraus. Das am 31.03.2023 bei Cooking Vinyl erscheinende „Different Game“ ist nun nach acht Jahren ein weiteres Studio-Comeback. Es wird vom Dokumentarfilm „Hung Up On A Dream“ und einer Tournee begleitet. Das Interview von Sounds & Books im Wortlaut:

Hallo Colin, ich freue mich sehr, mit Dir über The Zombies und Euer brillantes neues Album sprechen zu können. Der Titelsong ist für mich der reinste Zombies-Himmel, dazu mit einer Prise Procol Harum in Rods Orgelsound. Das nächste Stück „Dropped Reeling & Stupid“ hat mich an Steely Dan erinnert. Und dann gibt es da ein Brian-Wilson-Feeling in „Rediscover“. Wolltet Ihr eine echte „Classic Rock“-Platte machen – weil sich das ja heutzutage ansonsten keiner mehr traut?

Colin Blunstone: Also, ich denke, dass die Art, wie wir aufnehmen, sich eigentlich nie

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groß verändert hat. Schon seit den Sixties haben wir immer versucht, die bestmögliche Songsammlung mit unseren bestmöglichen Fähigkeiten aufzunehmen. Wir sind nie Trends hinterhergelaufen, wir haben nie jemanden kopiert. So ist der Orgelsound in „Different Game“ wohl ebenso von Bach inspiriert, wie es Procol Harums „A Whiter Shade Of Pale“ war. Und wenn „Dropped Reeling & Stupid“ nach einem Song aus der Ära von Steely Dan klingt, dann ist das fantastisch – wir sind riesige Fans, das ist also kein Zufall. Wenn es einen Hinweis auf Brian Wilson von den Beach Boys gibt – ja, mit dem waren wir erst kürzlich auf Tournee. Er hat eine fantastische Band, und wenn man die jeden Abend hört, beeinflusst einen dies natürlich. Also im Endeffekt gibt  es auf unserem neuen Album vielleicht Einflüsse, aber nichts ist Kopie.

Typisch The Zombies: Songs mit Struktur

Euer Sound erinnert wohl einfach an die besten Zeiten der Popmusik, die 1960er und 1970er Jahre – mit den Beatles, den Beach Boys oder eben Steely Dan.

Colin Blunstone: Das ist doch großartig. Wir schreiben eben auch weiterhin echte Songs mit einer Struktur. Wenn man viele heutige Lieder hören würde nur mit Piano und Stimme, würde man feststellen, dass eigentlich gar kein Song, keine Substanz vorhanden ist. Da geht es eher um Produktion und Sound. Rod und ich können Songs ohne jede Probe aufführen – was uns immer rettet, die Lieder sind sorgfältig am Piano oder an der Gitarre geschrieben. Rod ruft mich an, wenn er etwas für ein Album fertig hat, dann komme ich zu ihm, und nur wir beide arbeiten die Songs dann durch. So stellen wir fest, ob die Idee überhaupt Sinn ergibt, und geben sie dann erst der restlichen Band. Das sagt etwas über diese Kompositionen – sie funktionieren, wie auch immer man sie präsentiert, also rein akustisch oder im Bandkontext.

Dein Gesang ist für mich wie ein Wunder. Er klingt so frisch und voller Energie, etwa in „Love You“ oder „I Want To Fly“. Wie hast Du Deine Stimme über die Jahre so gut konserviert?

Colin Blunstone: Zunächst mal kann ich mich glücklich schätzen, weiterhin ein frisches und immer noch relevantes Repertoire an wundervollen Songs singen zu dürfen. Das hilft schon mal sehr. Außerdem muss man bei Aufnahmen oder Tourneen auf sich achtgeben, denn die Stimme ist eine Reflexion dessen, wie man sich gerade fühlt. Also viel Schlaf bekommen und gut essen. Und sehr wichtig ist auch, viel Wasser zu trinken. Nichts davon habe ich beachtet, als ich jung war (lacht). Das Allerwichtigste war, dass ich in meinen Fünfzigern angefangen habe, mit einem Gesangslehrer zu arbeiten. Der hatte damals viele Musicaldarsteller unterrichtet, deren Stimmen Abend für Abend stark und präzise sein mussten. Er hat also nicht versucht, meine Vocals zu verändern, sondern nur, sie stärker und präziser zu machen.

Aus sechs Tagen wurden 24 Jahre

Wie kam es dann zur Rückkehr der Zombies? Hast Du Rod nach vielen Jahren wiedergetroffen, und die alte Magie war sofort zurück?

Colin Blunstone: Ganz so einfach war es nicht. Wir haben uns 1999 eher zufällig wiedergesehen. Ich tourte gerade als Solokünstler mit einem Keyboarder, der zwar charakterlich ein wunderbarer Kerl war, aber leider auch sehr unzuverlässig. Ich kam zu Konzerten, und er war nicht da. Wenn er eigene Songs spielen konnte, ließ er mich auch mal im Stich. Irgendwann dachte ich mir: Wenn das so weitergeht, bekomme ich noch einen Herzanfall (lacht). Als ich dann Rod über den Weg lief, war er ein sehr erfolgreicher Produzent und hatte lange nicht mehr live gespielt. Ich dachte auch gar nicht, dass er Lust dazu hätte, fragte ihn aber trotzdem, ob er mir aus der Patsche helfen könne für die letzten sechs Tage der Tournee.

Und Rod sagte: Na klar kann ich Dir für diese kurze Zeit aushelfen, aber ich möchte nicht wieder dauernd unterwegs sein. Wie gesagt, es war 1999, und die sechs gemeinsamen Tage waren dann so ein Vergnügen, dass wir einfach weitergemacht haben. Daraus wurden 24 weitere Jahre als The Zombies, mit einer Handvoll Alben. Jetzt sind wir irgendwie ein Phänomen als eine der wenigen Sixties-Bands, die immer noch neues Material schreibt und aufnimmt. Das ist übrigens auch der Schlüssel dafür, dass wir weitermachen. Keiner von uns wäre daran interessiert, auf Tournee zu gehen und immer nur die alten Klassiker zu spielen. Wir könnten keine reine Oldie-Band sein. Wenn wir heute auftreten, ist da sogar mehr Energie als in den Sixties – wir machen echt keine Gefangenen.

Kommt Ihr damit endlich auch mal wieder zu Konzerten nach Deutschland?

Colin Blunstone: Das würden wir so gern, aber um ehrlich zu sein: Die Zeit rennt uns davon, wir können das auch nicht mehr ewig machen. Und leider haben wir auf dem deutschen Markt seltsamerweise nie wirklich Fuß gefasst, im Gegensatz zu Nordamerika, wo wir immer noch viel unterwegs sind, oder Fernost. Aber wir hätten schon große Lust, in Deutschland aufzutreten.

Seit den Nuller-Jahren wieder The Zombies

Colin, wenn ich richtig gezählt habe, ist „Different Game“ schon Euer viertes oder sogar fünftes Comeback als The Zombies. Richtig?

Colin Blunstone: Kommt wohl darauf an, wie man zählt. Zunächst mal waren wir eine professionelle Band von 1964 bis 1967. Dann hatte Rod seine Band Argent und ich eine Solokarriere, mit Alben, die im UK und in einigen anderen europäischen Ländern erfolgreich waren, leider merkwürdigerweise wieder nicht in Deutschland. Das ist keine Kritik, ich finde es nur interessant. Rod und ich spielten zwar gelegentlich zusammen, aber 1999 fühlten wir uns noch nicht so wohl damit, den Namen The Zombies wieder zu benutzen. Wir bemerkten dann, dass in der ganzen Welt, vor allem in Fernost, das Zombies-Repertoire sehr bekannt war. Einige Jahre später tourten wir auch wieder mit den verbliebenen Originalmitgliedern als The Zombies.

Eure Bandkarriere war ziemlich kompliziert, mit oft ungünstigem Timing. Aber Ihr habt den ewigen Barockpop-Klassiker „Odessey And Oracle“ auf der Habenseite, außerdem einige große Hits wie „She’s Not There“, und tolle Comeback-Alben. Findest Du, dass The Zombies eine sträflich unterbewertete Band sind?

Colin Blunstone: Es ist nicht an mir, das zu beurteilen, also unsere künstlerische und kommerzielle Laufbahn zu bewerten. Da sind andere Leute besser qualifiziert. Ich kann nur betonen, dass wir immer mit ganzem Herzen geschrieben, aufgenommen und performt haben. Erfolg war nie unsere Hauptmotivation. Das mag jetzt ein bisschen prätenziös klingen, aber uns ging es immer um die Kunst und nicht um das Geld. Also müssen andere beurteilen, ob wir unterbewertet sind.

Eine anspruchsvolle Zombies-Doku

Du und Rod, Ihr werdet beide 78 in diesem Sommer. Aber Ihr gönnt Euch keine Ruhe. Was hat es zum Beispiel mit der neuen Zombies-Dokumentation „Hung Up On A Dream“ auf sich, die nach einem Song aus Eurem berühmtesten Album „Odessey And Oracle“ benannt ist?

Colin Blunstone: Das wird wohl ein wirklich anspruchsvoller Film, der Regisseur Robert Schwartzman hat auch schon in Hollywood gedreht. Jeder hat zumindest einen Rough-Cut dieser Dokumentation gesehen – außer Rod und mir. Ich finde es auch immer ziemlich herausfordernd, mich selbst anzuschauen, sollte den Film aber wohl mal sehen, bevor er im März beim großen Festival SXSW in Austin/Texas Premiere hat. Es wäre sogar sicher wichtig, ihn zu sehen, bevor wir da vor den Kritikern und einer breiteren Öffentlichkeit sitzen. Es gibt bisher unveröffentlichtes Material zu The Zombies, und wir haben dafür viele Interview-Stunden gemacht. Ich habe großes Vertrauen in die Leute, die den Film produziert haben – aber auch ein bisschen Sorge, was ich da alles gesagt habe (lacht). Also ich denke, der Film ist eine sehr ernsthafte, ambitionierte Arbeit geworden.

Meine letzte Frage betrifft Euren Bandnamen. Warum habt Ihr vor 60 Jahren „The Zombies“ gewählt für Euren soften, sensiblen, orchestralen Pop-Sound? Und habt Ihr Euch jemals vorstellen können, dass es mal eine globale Zombiemania geben würde mit all diesen Filmen und erfolgreichen TV-Serien wie „The Walking Dead“?

Colin Blunstone: Zunächst mal zu Deiner zweiten Frage: Nein. Aber ich habe eigentlich Spaß daran, mir vorzustellen, dass wir die Zombies-Industrie begründet haben. Nein, nur Spaß. Wir haben den Namen gewählt, bevor es ein Bewusstsein für Zombies gab. Und er entstand aus Verzweiflung – weil jede Band halt einen Namen braucht. Wir waren 15 Jahre alt und fanden einfach keinen guten Namen. Für eine Woche waren wir 1961 The Mustangs, aber so nannten sich damals viele Bands – also weg damit.

Dann waren wir The Sundowners, nach einem Film mit Deborah Kerr und Robert Mitchum, aber keiner war begeistert davon. Dann kam unser allererster Bassist Paul Arnold, neben dem ich in der Schule saß, er war die Verbindung zu Rod Argent. Arnold sagte: Wie wäre es mit The Zombies? Das war catchy und blieb hängen. Ausgerechnet Paul Arnold hat die Band dann verlassen, um seinen Doktor zu machen, für ihn kam Chris White als Bassist der ersten offiziellen Besetzung. Paul lebt jetzt in Kanada – aber er hat uns immerhin einen großartigen Bandnamen hinterlassen.

Colin, ganz herzlichen Dank für dieses launige Interview – und viel Glück für Dich und die Band!

„Different Game“ von The Zombies erscheint am 31.03.2023 als CD, LP und digital bei Cooking Vinyl. (Beitragsbild von Alex Lake)

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