Christina Hesselholdt: Vivian – Roman

Christina Hesselholdt Vivian Cover Hanser Berlin

Um deutlich mehr als „Sonne lacht, Blende acht“ geht es in „Vivian“, dem bei Hanser Berlin erschienenen Roman von Christina Hesselholdt, der sich dem Leben der posthum zu Ruhm gekommenen Straßenfotografin Vivian Maier widmet

Bekannte Frage: Wie gelingt es, aus einem geht-so-Foto doch noch irgendeins mit Kunst zu machen? Nicht weniger bekannte Antwort: Wenn Nachbearbeitung nichts gebracht hat, Schwarz-Weiß-Filter probieren. Wenn der auch nichts bringt, auf Weiß verzichten oder darauf verlassen, dass Kunst ohnehin im Auge Betrachtender liegt. Und dann einfach hoffen.

Fotokunst ohne Photoshop-Philipp

Dass es sich bei Vivian Maiers fotografischem Werk nicht etwa um geht-so-Aufnahmen sondern um Kunst handelt, darüber waren sich Betrachtende alsbald nach Entdecken ihres umfangreichen Nachlasses einig. Und das gänzlich ohne Photoshop, wirkte sie doch zu einer Zeit nachbearbeitungsferner Analogfotografie. Und wie sie wirkte. Es obsessiv zu nennen, scheint keinesfalls übertrieben: über (!) ZWEI-HUN-DERT-TAU-SEND zumeist unentwickelte Fotos, hinterließ die 83-jährige Vivian Maier, als sie 2009 einsam und verarmt verstarb. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass diese immense Sammlung entdeckt und der Nachwelt zugänglich gemacht wurde.

Vivian: teilfiktive Biografie einer radikal Unabhängigen

Vielleicht kennt man das ein oder andere Selbstporträt der Fotografin, die nicht nur ihrer darauf zuweilen gefroren scheinenden Mimik wegen als eine der rätselhaftesten Künstlerinnen der Moderne gilt und Christina Hesselholdt zum literarischen Porträt „Vivian“ inspirierte. Anhand weniger Fakten, die über Vivian Maier bekannt sind (US-amerikanische Staatsbürgerin französischer Prägung, schwierige familiäre Verhältnisse, wechselnde Anstellungen als Kindermädchen und Haushälterin, entschiedene Einzelgängerin …), erzählt Hesselholdt ihre Version einer radikal unabhängigen Frau, deren erste Obsession die Fotografie war und die zweite, absolut niemandem Einblick in genau jene zu gewähren. Niemand sollte Zugang zu ihren Aufnahmen haben; zu dem, was sie sah und für Wert befand, es festzuhalten. Niemandem sollte es gestattet sein, über ihre Perspektiven zu urteilen, sie zu kopieren, zu meinen, Rückschlüsse auf die Urheberin ziehen zu können oder welche Motivation sie auch sonst gehabt haben mag, ihr umfangreiches Werk Zeit ihres Lebens streng unter Verschluss zu halten.  

Christina Hesselholdt Vivian Cover Hanser Berlin

Um ihre Version der Vivian zu literarisieren, bedient sich Christina Hesselholdt verschiedener, ebenfalls teilfiktiver Figuren aus dem Leben Maiers, die in der Ich-Perspektive über ihre jeweilige Verbindung berichten. Dazwischen kommt immer wieder ein kontextualisierender „Erzähler“ zu Wort, der sich dann und wann in eine Art Dialog mit den Figuren begibt. Insbesondere mit „Vivian“ selbst, beziehungsweise mit der von Christina Hesselholdt entworfenen Version, der sie ebenfalls Erzählanteile zuschreibt, was der Figur Möglichkeit bietet, sich im allmählich entwickelnden Bild ihrer Selbst zu verorten.

Ein Spiegel ist ein Spiegel ist ein Spiegel ist ein Bild

Ebenso, wie sich die wahre Vivian Maier immer wieder in ihren Fotografien verortete. Gerade bei ihren zahlreichen Selbstporträts arbeitete sie dabei oftmals mit Spiegelungen – und zwar mit einer ganzen Reihe von Spiegelungen, was ungewöhnliche Perspektiven zur Folge hatte. Wer schon einmal eine Ausstellung mit Werken Maiers besucht oder einige ihrer Bilder betrachtet hat, mag sich gefragt haben, wie sie diese oder jene Wirkung erzielen konnte, was (und wie oft) Spiegelung ist und was Original. Parallele, ick hör dir trapsen: Obwohl sichtbar, bleibt Vivian Maier ein Rätsel: in ihren Aufnahmen ebenso wie im Leben.

Ein Rätsel, das auch durch die als außergewöhnliche Stimme zeitgenössischer dänischer Literatur geltende Christina Hesselholdt nicht gelöst wird. Zu befürwortende Annahme, dass dies auch nicht erklärtes Ziel der Autorin und ihres literarischen Porträts „Vivian“ war. Zu befürwortende Leseentscheidung: ebenjenes.

Christina Hesselholdt: „Vivian“, Hanser Berlin, aus dem Dänischen von Ursel Allenstein, Hardcover mit Schutzumschlag, 208 Seiten, 21 €, ISBN: 978-3-446-26589-9 (Beitragsbild Buchcover)

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