Chris Hillman: Bidin‘ My Time

 

Chris Hillman damals und heute

Jugend. Ein 1944er Dezemberkind, Kindheitstöne: Country und Bluegrassmusik. The Hillmen , die erste Band des Achtzehnjährigen Christopher Hillman. Bass, Mandoline, Gesang. Drei Jahre später, Januar 1965, „Mr. Tambourine Man“, ein gecoverter Bob Dylan-Song, ist die epochemachende Debütsingle der Byrds. Die Tonkünstler spielen alle Instrumente auf sämtlichen Tracks selbst ein. Ausgerechnet hier spielt nur Roger McGuinn die Rickenbacker, den Bass zupft Larry Knechthal, Leon Russell drückt die Tasten, Hal Blaine trommelt und Jerry Cole zupft die Rhythmusgitarre. Chris Hillman singt im Hintergrund. Herbst 1965. Ich stehe mit fünfzehn Jahren verlassen in meinem Zimmer, lehne am Türrahmen. Ein vom Kumpel heimlich übergestreifter Parka, meine Eltern dulden das nicht. Die Byrds tragen das auch, lange Haare, nach vorn in die Stirn gekämmt. Coole Sonnenbrillen, Jahrzehnte später wieder im Modetrend.

Chris Hillman_Bidin' My Time_CoverAuf dem Plattenteller liegt „Mr. Tambourine Man“. Ich bin ein wilder Vogel. Ganz cool, die Mädels liegen mir zu Füßen. Störend, für 35 Minuten feinster Rockmusik muss ich zur Halbzeit der zwölf Stücke die Scheibe umdrehen. „The Bells Of Rhymney“, dort, beim letzten Stück der A-Seite, sinkt die Tonarmnadel ungezählt hinab. Ein Song wie ein Glasgemälde: Aufruhr, Trauer und der Wunsch, die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Das habe ich erst viel später so verstanden. Der Waliser Poet Idris Davies textet über eine Kohlengrubenkatastophe und den gescheiterten 1926er Generalstreik, Pete Seeger vertont es 1957. Aber für mich ist dies zunächst ein so noch nie gehörtes Gitarrenmeer, wogend in den Basslinien und dem Schlagzeugpochen. Das schmale, dunkle Zimmer öffnet sich. Junge Frauenherzen fliegen mir zu. »Die wichtigsten Einflüsse in meiner Karriere sind die Vibrationen um mich herum«, in diesen Jahren also auch Bob Dylan. Vier Coversongs auf dem Debütalbum. Diese Platte: eine farbenreiche Musiktapete voller Bilder, verfeinerte Spielarten des Countryrocks. Abwarten, mal sehen, wohin die Reise geht. Bidin‘ My Time.

Alter. Chris Hillman und die Byrds hinterlassen uns den musikalischen Abdruck eines Felsbrockens, den man nach Jahrzehnten beiseite rollt. Markant, ganz klar, unangetastet. 1968 verlässt er die Byrds, spielt mit Gram Parsons bei den Flying Burrito Brothers neben dem Bass auch häufiger Mandoline. Ein Reunion-Byrds-Album 1973, einige Soloalben mit McGuinn und Clark, formiert die Desert Rose Band 1986. Live mit den Byrds auf dem Roy Orbison Tribute 1990, vier neue Songs für die Byrds-Box 1990.

2017: Streaming Time. Ein alter Vogel bietet uns dreiunddreißig Minuten aufrichtig lebensechte Leidenschaft alter Musik für das Heute. »Es gibt eigentlich nichts mehr, was ich mir besonders wünsche«, lächelt er. »Ich habe ein wackeres, reiches Leben gehabt. Und es ist noch nicht vorbei – wir sind noch nicht fertig!«

Andenken als Inspiration. „The Bells Of Rhymney“, die Eröffnungsnummer. Da ist es wieder, dieses rockende Himmelsmeer, mit den Gitarren und Stimmen, frei von Eitelkeit, kraftvoll im Jetzt. Fast ohne Altersspuren. Weitere Byrds-Songs: „She Don‘t Care About Time“. Glaubst du an die Liebe, schreibst du solche Lieder, flammende Gitarren, leidenschaftlicher Gesang. „Here She Comes Again“, das Zuckerbrot der Liebe, manchmal als Knallerbse aufgehend. ›Old John Robertson‹, umgetauft und neu arrangiert in „New Old Robertson“, passt! Neue Songs, noch eine Generation zurück, Bluegrasswurzeln, den Großvater zur Neuzeit befragt „Such Is The World We Live In“. Wie die Schaumkämme des Meeres, „Restless“, eine nackte, ehrliche Bilanz, der ausgetrunkene Wein der Lebensbejahung. „Given All I Can See“.

Brillante Musiker, neben McGuinn  und Crosby schwelgen alte Kumpel aus der Desert Rose Band sowie den Heartbreakers in ihrer Musik, jetzt fast schon Lebenswerken. Eine außergewöhnlich luftig-transparente Produktion von Herb Pedersen und Tom Petty. Sehr passend für den eher ruhigen und stillen Chris Hillman.

2.Oktober 2017. Tom Petty wird niemals mehr den McGuinn/Hillman-Song So You Want To Be A Rock ‘n’ Roll Star live singen. Sein Wildflowers ist das letzte Stück auf diesem Werk. Eine akustische Ballade, gebrochenes Herz.

Die letzte Seite Nr. 55 des Begleitheftes zur Byrds CD Box von 1990, ein kurzer Text:

A Closing Word From Tom Petty“

Diese Musik hat mein Ohr nie verlassen, ich lehne wieder am Türrahmen. Nochmals zwölf Stücke wie auf der ersten Byrds-LP.

„Bidin‘ My Time“ von Chris Hillman ist am 22.09.2017 bei Rounder Records erschienen.

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