Brutus live in Aschaffenburg 2023

Brutus live Aschaffenburg 2023 Colos_Saal by Michael Thieme Sounds & Books

Die Belgier Brutus gastierten am 27.2.2023 im Aschaffenburger Colos-Saal unterwegs zu den großen Sommerfestivals.

Brutus, das Powertrio aus Leuven in Belgien, hat sich mit seinen drei Studioalben und einer atemberaubenden Live-Präsenz, die auch auf Platte festgehalten wurde, einen Ruf erspielt, der alle anderen Bands mit gleichem Namen (und es gibt einige!) in der medialen Wahrnehmung nichtig macht. Ihr letztes, auch von Sounds & Books besprochene Album „Unison Life“ sammelte überall Bestnoten in der Rockpresse von Metal bis Indie. Diesen Sommer sind sie auf den fettesten Festivals wie u.a. Rock am Ring oder Download gebucht: Es könnte also durchaus sein, dass das Trio, das 2018 noch Shows eröffnete von z.B. Thrice oder Chelsea Wolfe, ab dann nicht mehr im kuscheligen Club in der Nachbarschaft zu sehen sein wird, weil weit größere Hallen bespielt werden müssen. Anwesenheitspflicht also im Colos-Saal, den Brutus das erste Mal bespielten und der in puncto Gemütlichkeit sowieso einen besuchenswerten Solitär darstellt im Rhein/Main-Gebiet.

Introvertiertes zu Beginn von Siem Reap

„Gemütlich“ startete der Abend pünktlich um 20 Uhr mit einem Mann, einer Gitarre, einem Schemel und – wir leben ja nicht mehr in den Sechzigern – jeder Menge Fußpedale. Zumindest, wenn man den klang-technischen Kontrast sehen mag zum später aufspielendem Headliner. Gilles Demolder, sonst bei den belgischen Church Of Ra – Abrissunternehmen Oathbreaker und Wiegedood an den Gitarren beschäftigt, lebt als Vorprogramm Siem Reap (Hauptstadt wie Provinz in Kambodscha) seine nachdenkliche, melancholische Seite aus als Ein-Mann-Band, die im Studio alleinverantwortlich für alle Instrumente ist. Die Anspannung war dem fast komplett mit geschlossenen Augen spielenden Demolder dabei durchaus anzusehen – nicht jeder, der Bock hat, sich an einem Montagabend live-technisch gut durchschütteln zu lassen, bringt die Geduld auf, solch einem Seelenstriptease zu lauschen, das wird er als Metalmusiker wissen.

Erinnert an Jonathan Hultén

Davon zeugten die obligatorischen Labertaschen sowie in diesem Fall der noch nett gemeinte, grölende Zuspruch eines Individuums, welches sich im weiteren Verlauf des Abends randalierend in den ersten Reihen weiterhin keine Freunde machte. Dreißig Minuten faszinierte Demolder die Aufmerksamen unter den Gästen mit Geschichten über Sucht oder das Leben als Teil einer Metalband, unterstützt von sanftem Gitarrenspiel sowie Pedalen, die seine Performance multiplizierten oder den Hall verstärkten. „Don’t hate me“ flüstert sein Protagonist mit Alkoholproblem im Dialog im letzten dargebrachten Stück. Vielleicht auch eine Bitte an das Publikum, das leider in den Nachbesprechungen im Netz, allein aufgrund des im Vergleich zum Hauptact anders gelagerten Sounds, meist unerbittlich wie ignorant abstrafte.

Irgendwo anders nannte das jemand „Slowcore“ –  intensiv oder aufregend geht ebenso in soft. Ein wenig erinnerte das an die Solo-Auslüge von Jonathan Hultén, bevor dieser Tribulation verließ, minus dessen Extraversion.  Fand wohl auch der lokale DJ, der Hultén in der dreißigminütigen Umbaupause vom Band brachte. Empfehlung zum Weiterhören: https://siemreapholdingco.bandcamp.com/album/now-what .

Brutus können das so machen

Auch Brutus starteten pünktlich vor inzwischen verschlossenen Reihen. Ganz ausverkauft war der Colos-Saal im Gegensatz zum Dortmunder Junkyard nicht; mal zwischendurch ein Bier holen war jedoch auch keine leichte Übung mehr, wenn man an seinen früheren Platz zurück wollte. Drei Leute spielen fünf Instrumente oder gar mehr: Stefanie Mannaerts beeindruckt als erste mit ihrem harten Schlagzeugspiel neben gleichzeitiger vokaler Performance zwischen hauchzart und massiv. Bassist Peter Mulders, ihr Kollege aus gemeinsamen Tagen in einer Refused-Coverband (die obsolet wurde, als Refused wiederkehrten), bedient nebenbei noch Fußpedale, die u.a. Orgelklänge in den Gesamtsound mischen.

Und Gitarrist Stijn Vanhoegaerden verarbeitet seine vielfältigen Einflüsse als Fan von Country, Classic-Rock oder The Smiths in ebenso diverse Sounds, dass man mitunter ein ganzes Gitarrenorchester zu hören glaubt. In hoch energetischen siebzig Minuten ( die unübersehbar entzückte Stefanie Mannaerts: „Energy here is 10 out of 10“) leisteten sich Brutus den Luxus, acht von zehn „Unison Life“-Stücke zu bringen sowie auf ihre „Hits“ vom Debüt („Drive“, „All Along“) zu verzichten.

Alles Brutus-Hits

Kann man machen, wenn einem die Anhängerschar so aus der Hand frisst und jeder neue Song begeistert wie komplett mitgesungen wird. Sind so gesehen eh alles Hits. Das bisschen Platz, das zwischen den Fans gerade so noch wahrnehmbar war, wurde spätestens ab Song Nummer zwei („Horde II“) pogend beansprucht, der Pit ließ in den vorderen Reihen bis zum Ende kaum nach. Das Fehlen einer Zugabe, z.B. in den USA längst Usus und auch in unseren Breiten immer häufiger zelebriert, erschien aufgrund der Absenz einiger Klassiker kurzzeitig verwirrend. Als Statement zur Abrundung einer künstlerischen Performance ist das jedoch stimmig, ein „Klassiker“ sind Brutus mit ihrem Werk und ihrer Spielfreude sowie bereits komplett. Wer die Chance hat, dem in noch kleiner Kulisse beizuwohnen, sollte das unbedingt tun – in Hamburg z.B. sind Brutus am 3.3. auf dem „Hell Over Hammaburg“-Festival zu erleben (da allerdings in rein metallischer, nichtsdestotrotz hochklassiger Gesellschaft).

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