Zwei überwältigende Konzerte vom Boss
von Gérard Otremba
Es kann nur einen geben, und der heißt nicht Highlander, sondern Bruce Springsteen. Einst von seinem späteren Produzenten Jon Landau als die „Zukunft des Rock’n’Roll“ angepriesen, hat Springsteen diese Vision eindrucksvoll in die Tat umgesetzt. Aus der Zukunft ist Vergangenheit und Gegenwart geworden. Und bis auf ganz wenige Ausnahmen hat der Mann aus New Jersey in den letzten 40 Jahren fette musikalische Ausrufezeichen gesetzt, sowohl auf Platte und ganz besonders auf der Bühne.
Bruce Springsteen und die E-Street-Band im Wandel der Zeit
Wie etwas 1988 auf der „Tunnel Of Love“-Tour im damaligen Frankfurter Waldstadion. Ein Rock’n’Roll-Manifest von dreieinhalb Stunden, das bisherige Konzert der Konzerte. 24 Jahre und acht Springsteen-Konzerte später, schließt sich der Kreis im nunmehr „Commerzbank-Arena“ heißenden Fußballstadion in Mainhatten. Bruce Springsteen setzt an diesem denkwürdigen Abend noch einen drauf und toppt das `88er-Konzert, was Intensität und Emotionalität betrifft. Leider ist die Zeit nicht spurlos an der E-Street-Band vorübergezogen. Vor vier Jahren der Tod von Keyboarder Danny Federici und letztes Jahr der schmerzliche Verlust von Saxophonist „Big man“ Clarence Clemons, letzthin Springsteens bester Freund in der E-Street-Band. Dankenswerter Weise erfüllten sich die Befürchtungen nicht, Springsteen würde nach diesem Schicksalsschlag eventuell nie wieder live auftreten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ganz im Sinne von Clarence Clemens geht die Party mit anderen Vorzeichen als 1988 weiter. Viel ist seitdem geschehen, ob nun der Mauerfall, die Anschläge von 2001, oder die aktuell Finanzkrise, immer hatte Bruce Springsteen eine musikalische Antwort parat. Das im wiedervereinten Berlin aufgenommene Video zu „Hungry Heart“, das 2002 erschienene Album „The Rising“ und natürlich sein neusten Werk „Wrecking Ball“. Im Prinzip sind Springsteens Texte nie sonderlich hoffnungsvoll und optimistisch gewesen, viel zu oft flüchteten seine Protagonisten auf ein imaginäres Wunschziel hin, viel zu häufig besang der „Boss“ die Schattenseiten des sogenannten „American Dream“. Und doch gelingt es keinem so gut wie ihm, eben jenen letzten Funken Hoffnung zu vermitteln, der am Ende der „Thunder Road“ vielleicht auch auf uns wartet, dass die große Liebe mit Wendy, Sandy oder Mary doch möglich ist, allen irdischen Widrigkeiten zum Trotz. Ein großer Romantiker war er ja schon immer.
Bruce Springsteen, der Messias des Rock’n’Roll, überwältigt seine Fans in Frankfurt
Bruce Springsteen und die E-Street-Band beginnen den Abend mit einem euphorischen „Badlands“ und spätestens beim vierten Song „Out Of The Streets“, als Jake Clemons, der Neffe des verstorbenen Clarence Clemons, sein erstes Saxophon-Solo spielt, hat man mit den Tränen zu kämpfen und allerspätestens zu „The Promised Land“ und dem anschließenden „The River“ muss man sich dieser nicht schämen. In der Zwischenzeit bekamen die circa 40 000 Besucher im ausverkauften Stadion die Power von „We Take Care Of Our Own“ zu hören, den Zorn bei „Wrecking Ball“, das stampfende „Death To My Hometown“ sowie ein unglaublich soulfulliges „My City Of Ruins“. Soul und Gospel sind prägende Stilelemente auf Springsteens neuem Album und so wird dieser Auftritt zu einer einzigen Lobpreisung, die E-Street-Band verstärkt durch die Horn-Selection und Background-Chören. Springsteens geradezu messianische Ankündigung von „Spirit In The Night“ haftet etwas Blues-Brothers-hafte an. Ja, wir haben das Licht gesehen. Wir haben es in „Shackled And Drawn“ gesehen, in „Jack Of All Trades“, im ausgeflippten „The E-Street-Shuffle“, im majestätischen „Darkness On The Edge Of Town“, im verrockten „Johnny 99“, im elegischen „Youngstown“ und in der Elvis-Hommage „Working On The Highway“. „Waitin‘ On A Sunny Day“ gerät zu Grenzen sprengenden Hymne, mit rührendem „Kids-singen-auf-der-Bühne-den-Refrain“-Teil.
Ein Konzert für die Ewigkeit
An diesem lauschig-warmen Frühlingsabend lassen wir uns vom „Summertime Blues“ inspirieren und holen für „The Rising“, „Lonesome Day“ und „We Are Alive“ alles aus uns heraus. Und im abschließenden „Thunder Road“ schmettern wir Bruce unter weiteren Tränen der Ergriffenheit den Text entgegen. Wie in Trance erleben wir die Zugaben: Die spirituelle Tiefe von „Rocky Ground“ sowie die Schlachthymnen „Born In The USA“ und „Born To Run“. Und dann schnappt sich Springsteen die ihm zugereichten Plakataufforderungen und knallt uns entfesselte Versionen von „Cadillac Ranch“, „Sherry Darling“ und „Glory Days“ um die Ohren, so dass die Stimmung ihren Siedepunkt der Ausgelassenheit bei „Dancing In The Dark“ erfährt. In „Tenth Avenue Freeze-Out“ unterbricht die Band den Song bei der Zeile „when big man joined the band“, wir sehen auf den Leinwänden eingespielte Bilder von Clarence Clemens, die unter weiteren Tränen und tosenden Applaus das Innerste in uns treffen. Danach geht nichts mehr. Nach 30 Songs und fast dreieinhalb Stunden Spielzeit ist man physisch und psychisch fix und fertig. Ein perfekter Abend und ein monumentales Konzert.
Party-Stimmung beim Springsteen-Konzert in Köln
Zwei Tage später, am 27.05.2012 im Rhein-Energie-Stadion in Köln, mit 29 Songs im Gepäck, wieder deutlich über drei Stunden Lauflänge, erstaunlich woher Bruce Springsteen auch mit fast 63 Jahren noch diese Energie hernimmt. Umgab das Frankfurt-Konzert die Aura einer Rock’n’Roll-Erweckung, erleben die Fans in Köln einen aufgekratzten Party-Springsteen. Im Vergleich zu Frankfurt verändert er seine Setlist gleich um zwölf Songs, beginnt mit „No Surrender“ und „Two Hearts“ , hat „That Ties That Bind“ und „Atlantic City“ im Programm, bietet den Gästen „Darlington County“, versehen mit einem „Honky Tonk Woman“-Ausflug, und „She’s The One“. Er bringt das „Apollo Medley“ sowie „Radio Nowhere“ und endet im „Land Of Hope And Dreams“. Natürlich erleben auch die Kölner die Verzückung der Ekstase, spätestens bei den Zugaben „Hungry Heart“, „Seven Nights To Rock“ und „American Land“. Und wieder ein Hammer-Konzert.