Was mach man nicht alles für den „Boss“. Man fährt von Hamburg nach Hannover, gerät dort in einen ewig währenden Stop-and-Go-Verkehr, bekommt die Panik, weil klar wird, der auf dem Ticket angesetzte Konzertbeginn von 19 Uhr wird kaum mehr zu schaffen sein, beruhigt sich wieder ob des Wissens, dass die letztjährigen Auftritte auch nicht vor 20 Uhr begannen, erwischt um 19.10 Uhr noch einen Parkplatz in Stadionnähe, schafft es noch rechtzeitig auf die Toilette, kauft sich halb verhungert eine Brezel und noch kauend und im Innenraum einen halbwegs vernünftigen Platz suchend, betreten Bruce Springsteen und seine Bandmitglieder dann doch schon um 19.30 Uhr die Bühne der Arena, former known as Niedersachsenstadion. Das war knapp, noch mal Schwein gehabt.
Bruce Springsteen als Gute-Laune-Bär
Die Entschädigung für die ganze Aufregung folgt sofort. Springsteen nimmt uns mit in das Land der Hoffnungen und Träume und weiß, dass es keine Kapitulation an diesem Abend geben wird. Live-Auftritte von Springsteen sind immer etwas Besonderes. Das Hannover-Konzert entwickelt sich nicht zu dieser psychischen Intensität, wie letztes Jahr in Frankfurt, besticht aber durch die Wahl einiger sehr selten gespielter Songs und den ultimativen Rock’n’Roll-Drive mit Partylaune. Es gibt nur noch fünf Songs des aktuellen Albums Wrecking Ball zu hören, dafür überraschenderweise gleich drei von Nebraska. Sind „Atlantic City“ und „Johnny 99“ mittlerweile öfter in der Rockversion live zu vernehmen, muss man bei „Open All Night“ schon verdammt textsicher sein, um es wiederzuerkennen. Springsteen gibt sich an diesem Abend ganz als Gute-Laune-Bär, trinkt vom Publikum dargereichte Bierbecher auf Ex weg, läßt sich von Gästen in der ersten Reihe knuddeln und streicheln, bedient Roy Bittans Piano mit Ohr, Nase, dem Allerwertesten und grinst dabei schelmisch in die Kamera. Ja, Großarenen-Konzerte sind nun mal für das Gros der Besucher nur über die Leinwände verfolgbar. Aber es geht hier um den besten Rock’n’Roll-Live-Musiker aller Zeiten, da nimmt den Umstand gerne in Kauf.
Springsteen und die E-Street Band als Feierbiester
Natürlich feiern Springsteen und die E-Street Band auch immer mit sich und den Fans, Lieder wie „Hungry Heart“, „Spirit In The Night“ und auch der „The E-Street Shuffle“ eignen sich gar vortrefflich dazu. Etwaige Publikumswünsche erfüllt „Bruuuuce“ mittlerweile nur zu gerne und so bekommen die zu Tausenden nach Hannover gepilgerten Anhänger „My Love Will Not Let You Down“ und sein gefühlvolles Cover von „Drift Away“ geboten. Nach dem wie immer herzerweichenden „The River“ gehört das Stadion voll und ganz dem entfesselten und bis zum Exzeß getriebenen „Because The Night“, bei dem Gitarrist Nils Lofgren seinen Drehkreisel vollführt, ein monumentales Live-Meisterwerk. Es folgt ein brachiales „Murder Incorporated“, samt Gitarrenschlagabtausch zwischen Bruce und Steve van Zandt. Überhaupt stimmt mal wieder alles an der Show-Choreographie, vom Percussion-Einsatz über die Chorgesänge bis hin zur Bläsersektion, angeführt von Saxophonist Jake Clemons. Nachdem bei „Waitin‘ On A Sunny Day“ ein Kleinkind auf die Bühne darf, um den Refrain vorzutragen (die Menschen lieben diese rührenden und feierlichen Momente), drehen Springsteen und die E-Streeter zum großen Finale nochmal voll auf. „Radio Nowhere“, „The Rising“ und das infernalische „Badlands“ hauen einem schlicht die Ohren weg, Rock’n’Roll in Vollendung. Und weil alles so schön ist, knallen sie uns noch ein furioses „Light Of Day“ vor den Latz, ein ebenfalls eher selten gespielter Song und vom Schreiber dieser Zeilen beim nun zwölften Springsteen-Konzert erstmals gehört.
Die Rock-Party mit diversen Springsteen-Klassikern im Zugabenblock
Kurzfristig kann man sich anschließend erholen, bevor mit dem wunderschönen, akustischen „Roll Of The Dice“ die Zugaben beginnen. Danach der große Endspurt mit den Klassikern „Born In The U.S.A.“, „Born To Run“ und „Dancing In The Dark“, man kommt da aus dem Textmitsingen und Tanzen nicht mehr heraus. Dazwischen noch das Cover „Seven Nights To Rock“, und bei „Tenth Avenue Freeze Out“, dem Gedenksong an die verstorbenen E-Street-Mitglieder Clarence Clemons und Danny Federici, stehen einem dann doch wieder die Tränen in den Augen. Doch die positiv Verrückten da vorne lassen immer noch nicht locker und lassen es für „American Land“ noch mal euphorisch krachen. Nach 30 Songs und 3:20 Stunden Spielzeit ist dann leider doch Schluss. Der Rock’n’Roll-Messias hat nun also auch Hannover erreicht, ein Ereignis, das diese Stadt so noch nie erlebt hat und lange nicht vergessen wird.