Weitere Interpretationen amerikanischer Standards, immer noch melancholisch und schwermütig
von Gérard Otremba
Sehr lange schon hat ein Bob Dylan-Album seine Fangemeinde nicht mehr so gespalten wie das im Januar 2015 veröffentlichte Shadows In The Night. War man sich in der Rezeption seiner bärenstarken Alben wie Time Out Of Mind, Love And Theft und Tempest, sowie den sehr guten „Modern Times“ und Together Through Life noch weitgehend einig, zog Shadows In The Night einen Schnitt durch die Dylan-Landschaft. Plötzlich sang der nächste Woche 75 Jahre alt werdende Dylan klassische amerikanische Standards, mit denen Frank Sinatra einst bekannt wurde. Auf einmal croonte sich also Bob Dylan durch das Repertoire des melancholischen Song-Books Amerikas und da sind dann wohl einigen die Füße beim Hören eingeschlafen.
Dass Dylan auf Shadows In The Night so schön sang wie seit Jahren nicht mehr, scheint vielen dabei entgangen zu sein. Und das macht er auf Fallen Angels wieder, schön singen und alte Klassiker neu interpretieren. Mit der EP Melancholy Mood gab es vor einem Monat bereits die ersten Eindrücke aus Fallen Angels zu bestaunen und fast hat man den Eindruck gewonnen, es gehe noch trauriger zu als auf Shadows In The Night. Dylans Begleitband ist auf Fallen Angels wieder kaum mehr wahrzunehmen und der Meister schmachtet sich durch die ewigen Abgründe der Schwermut. „Maybe You’ll Be There“, „All The Way“, „Nevertheless“, „It Had To Be You“, „Melancholy Mood“ und „Come Rain Or Come Shine“ sind die wohl wehmütigsten Exemplare jener Gattung der bis zur unendlichen Traurigkeit und an die Grenze der Depression neigenden romantischen Songs.
Natürlich offenbaren auch Stücke wie „Young At Heart“, „Polka Dots And Moonbeams“, „Skylarks“ oder „All Or Nothing At All“ eine intime und verletzliche Aura. Von den zwölf auf Fallen Angels enthaltenen Liedern entwickelt einzig „That Old Black Magic“ einen lässigen, verhältnismäßig treibenden Jazz-Groove, während sich in „On A Little Street In Singapore“ Dylans getreue Backing Band um Bassist Tony Garnier eher sanft ins Rampenlicht rückt. Mit Fallen Angels, Bob Dylans mittlerweile 37. Studioalbum, beschenkt sich der Troubadour selbst und alle, die jene außerordentlich schönen Schmachtfetzen der amerikanischen Musikhistorie zu goutieren wissen.
„Fallen Angels“ von Bob Dylan erscheint am 20.05.2016 bei Columbia / Sony Music.