Es ist soweit: Gestern ist achte Studioalbum von Beyoncé erschienen. Mit Spannung erwartet, schickt es sich an, bisherige Genre- sowie Rezeptionsgrenzen ordentlich zu verschieben.
von Michael Thieme
Wird auch Zeit. Country & Western – Music (C&W) wird landläufig als traditionelle und meist konservative Musikrichtung angesehen. Und, vor allem: als eine weiße. Dass das mit dem „konservativ“ bisweilen erzreaktionäre bis faschistische Tendenzen (siehe z. B. Jason Aldeans „Try that in a small town“) inkludiert, wurde gerade in den letzten Jahren besonders deutlich, in denen in Teilen der USA die Rechte von Frauen massiv eingeschränkt werden, man „alternative Wahrheiten“ als Fakten behandelt und Minderheiten zunehmend um Leben oder Gesundheit fürchten müssen. Selbst unter den sogenannten „Nashville Outlaws“, und ihren Nachkommen, die dem Genre eine Frischzellenkur verpassten und die sich ebenso häufig in mehr oder weniger heftiger Rockmusik austoben (Hank Williams jr., dessen Sohn Hank III oder David Allan Coe mit Pantera) herrscht mitunter offene Misogynie vor. Trotzdem findet man genügend progressive Inhalte im Country, wenn man ein klein wenig sucht. Vor allem von Frauen.
Beyoncé – with a little help from Rhiannon Giddens
Schwarze C&W-Musikanten gab es schon immer – bevor Bilder von Künstler.Innen überall verfügbar waren, wurde ihre Hautfarbe dann eben so lange es ging geheim gehalten (DeFord Bailey). Rhiannon Giddens, die bei der im Vorfeld veröffentlichten Beyoncé-Single „Texas Hold’em“ für Banjo- wie Violinenspiel verantwortlich ist, hat solo sowie mit ihren Kolleginnen der Carolina Chocolate Drops auf LPs wie auf Konzerten die schwarze Vergangenheit traditioneller Folk- wie Countrymusic und vor allem des Banjo, eines der stilprägendsten Instrumente der Gattung, aufgearbeitet. Der Widerstand gegen diese Tatsache war jedoch allgegenwärtig, wie auch Beyoncé erfahren musste, nachdem sie sich mit den Chicks (ehemals Dixie Chicks) 2016 auf den Country Music Awards die Bühne teilte.
„Hey Mrs Honey B, it’s Dolly P“
„Cowboy Carter“ führt optisch wie inhaltlich den auf dem Vorgängeralbum „Renaissance“ (2022) begonnenen Faden von Selbstermächtigung sowie schwarzer (Musik-)Geschichtsschreibung fort und bildet den zweiten Teil einer Trilogie. Angekündigt als „Country-Album“ ist C&W mitnichten der einzige Musikstil, den wir auf dem knapp 80minütigem Tonträger zu hören bekommen. Gäste wie die oben zitierte Dolly Parton, der sonst eher tiefenentspannte Nashville-Outlaw Willie Nelson, Miley Cyrus, Rhiannon Giddens oder Linda Martell bedienen diesen Schwerpunkt, Musiker wie Post Malone oder Shaboozey sind darüber hinaus ebenso im Rock, Hip Hop oder Trap zu Hause. „Cowboy Carter“ ist dabei so voller persönlicher wie historischer Querverweise, dass man sich mit diesem Album wochenlang beschäftigen kann (und sollte), auch wenn einige der insgesamt 27 Stücke (darunter ein paar kurze Intros oder Soundfiles) nicht beim ersten oder zweiten Hören zünden.
Die Fans nehmen auf Portalen wie Genius bereits jede Zeile auseinander, Popkenner finden das Beatles-Cover oder das Beach Boys-Zitat – woanders wird außerdem noch darüber gemutmaßt, ob der zweite überlebensgroße amerikanische Popstar der Gegenwart, Taylor Swift, nicht vielleicht noch einen kleinen Gastpart auf dem Tonträger vorzuweisen hat. Das wäre in der Tat eine kleine Sensation, die an der Klasse und Relevanz dieses Albums mit dem Zeug zum Meisterwerk allerdings kein Iota ändert. Sprechen wir am Ende des Jahres noch mal darüber.
„Cowboy Carter“ von Boyencé ist am 29.03.2024 bei Columbia Records / Sony Music erschienen. (Beitragsbild: Pressefoto)