Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe – Roman

Ein leider enttäuschender neuer Roman von Bernhard Schlink

von Gérard Otremba

Bevor Bernhard Schlink 1995 mit Der Vorleser die Literaturwelt im Sturm eroberte, und anschließend den nicht minder lesenswerten Erzählband Liebesfluchten veröffentlichte, schrieb er zwei ausgezeichnete Kriminalromane. Selbs Justiz, gemeinsam mit Walter Popp, und Selbs Betrug, 2001 folgte mit Selbs Mord der Trilogie-Abschluss, gehören zu den wichtigsten und besten deutschsprachigen Krimis und seien an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Schon damals arbeitete sich der studierte Jurist am Themenkomplex Recht und Gerechtigkeit ab und tat es mit Bravour. Doch bereits in Das Wochenende wollte die Prosa des nunmehr 70-jährigen Bernhard Schlink nicht so wirklich zünden. Und leider komme ich nicht umhin sagen zu müssen, dass der neue Roman Die Frau auf der Treppe enttäuscht. Stilistisch ist alles wie gehabt bei Schlink. Doch der fast kurzatmige Schreibstil erweist sich diesmal als Handicap und berührt nicht. In der Art Gallery von Sydney entdeckt der circa 70-jährige Rechtsanwalt und Ich-Erzähler das Bild „Frau auf der Treppe“, das er nur zu gut kennt, verliebte er sich doch im Jahre 1968 in die ebendort abgebildete Irene, die er während einer Rechtsstreitigkeit zwischen Irenes Mann und dem mittlerweile sehr berühmten Künstler kennenlernte. Irene verließ damals ihren Mann, einen Großkapitalisten, zugunsten des Künstlers, benutzte den jungen Anwalt, um das Bild an sich zu bringen und verschwand spurlos. Nun, gealtert und todkrank arrangiert sie das Wiedersehen der vier Protagonisten in der Nähe von Sydney.

Bernhard Schlink bedient Klischees

Doch es ist, als wäre die Zeit für die Beteiligten stehen geblieben. Ihr Ex-Mann, ein fürchterlich selbstherrlicher, arroganter Unsympath wie er früher schon war und der eitle, selbstverliebte Maler streiten sofort wieder um den Gemälde-Besitzanspruch, während der Ich-Erzähler seine Liebe für Irene wiederentdeckt und immerhin eine Wandlung bis zum Ende des Buches durchlebt. Als Leser eines Romans wünscht man sich wenigsten eine halbwegs sympathische Figur, doch die drei von Schlink beschriebenen Herren sind allesamt keine einnehmenden Personen, denn auch der Erzähler ist ein empathieloser, rechthaberischer und stolzer Pfau. Man kann für die Zunft der Juristen nur hoffen, dass nicht alle von ihnen so geartet sind. Bliebe also noch Irene, die „Frau auf der Treppe“, der auslösende Moment des Romans, die selbstverständlich ob ihrer Krebserkrankung Mitleidsbonuspunkte sammelt. Als sie 1968 mit dem Bild verschwand, tauchte Irene anschließend in den politischen Untergrund ab. Und wer kann es ihr verdenken, bei dieser Herrenauswahl? Das macht sie ja dann doch auch ein Stück weit sympathisch. Bernhard Schlink bedient in Die Frau auf der Treppe Stereotype und Klischees soweit das Auge reicht. Erörterte zeitgeschichtliche Themen werden bestenfalls angeschnitten und nicht ausdiskutiert, was von diesen Charakteren auch schlichtweg zu viel verlangt wäre. Vielleicht ist Bernhard Schlink in die Martin Walser-Altersfalle getappt, dessen neue Romane man seit gut 20 Jahren nicht guten Gewissens lesen kann. Die Zeit wird es zeigen. Trotzdem springt der Roman kommende Woche auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste. Vielleicht suchen die Käufer einen zweiten Vorleser. Sie werden ihn in diesem Buch nicht finden.

Bernhard Schlink: „Die Frau auf der Treppe“, Diogenes Verlag, Hardcover, 978-3.257-86247-8, 21,90 €.

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