Ein löblicher Debütroman von Berit Glanz
Elisabeth, Hauptprotagonisten und Ich-Erzählerin des Debütromans „Pixeltänzerin“ von Berit Glanz, hört auf den metaphorischen Kosenamen Beta. Sie arbeitet als „Junior-Quality-Assurance-Tester“ – also als Qualitätskontrolleurin für Software – in einem hippen Berliner Start-up-Unternehmen. Beta ist der Inbegriff des digitalen Zeitalters, ein App-süchtiger Nerd, der in einer Freizeit das Erdbeereis so vieler Berliner Eisdielen wie nur möglich ausprobiert. Ein Hobby, das ihr Kollege Johannes als „bekloppte Suchspiele und sinnfreie Abenteuer gelangweilter Großstädter“ einstuft. Als gelangweilt bezeichnet sich Beta durchaus ebenfalls, doch mit der App „Dawntastic“ kommt neuer Schwung in ihr Leben. Jeden Morgen lässt sie sich von einem anderen App-Nutzer dieser Welt mit einem kurzen Anruf wecken. Eines Tages übernimmt ein gewisser „Toboggan“ aus Kalifornien den Weckdienst, dessen Profilbild ein „anthromophorbes Wesen“ mit einer verstörenden Maske zeigt.
Berit Glanz verwebt gegensätzliche Inhaltsstränge
Von diesem mysteriösen Toboggan erhält Beta versteckte Texte über die Künstlerin Lavinia Schulz, einer expressionistischen Schauspielerin und Maskentänzerin, die zwischen 1917 und 1924 in Berlin an der „Sturm-Bühne“ und in Hamburg an der „Kampfbühne“ wirkte. Je mehr Beta über das Leben der durch ihre Ganzkörpermasken aufgefallenen Lavinia Schulz erfährt, desto mehr fasziniert sie die 1924 durch Selbstmord verstorbene Persönlichkeit. Um ihr Leben nachzuspüren, fährt Beta sogar nach Lübben, dem Heimatort von Lavinia Schulz im Spreewald und besucht eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, in dem eine Sammlung der Masken Schulzes zu sehen ist. Berit Glanz taucht abwechselnd in die Welten von Beta und Lavinia Schulz ein. Die Sprünge aus der Gegenwart in die hundert Jahre zurückliegende Vergangenheit und wieder zurück gelingen ihr spielend. Die 1982 geboren Schriftstellerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für neuere Skandinavische Literatur der Universität Greifswald besitzt die Gabe, zwei zunächst völlig gegensätzliche Stränge zu verweben und eine spannende, erhellende und nachdenklich stimmende Geschichte zu erzählen.
Widerstand gegen die digitalisierte Welt
Die Lektüre dieses Buches bereitet auch ohne Vorkenntnisse zur Person Lavinia Schulz oder der technologisierten Welt Betas ein stetes Vergnügen. Die widerständische, selbstverwirklichte und von gesellschaftlichen Normen befreite Lavinia Schulz stellt im Verlauf des Romans eine Art Vorbildfunktion für Beta dar. Beta sehnt sich zwar manchmal nach analogen Dingen (zu denen Platten und Bücher leider nicht dazugehören), um aber aus ihrer durch den Job definierten Rolle auszubrechen, erfindet sie mit einem kleinen Team ihres Arbeitgebers eine ungewöhnliche App, um ihre Branche zu demaskieren. Und lotst auf ihre Weise und im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Widerstand gegen die total digitalisierte Welt aus. Ein löblicher Schritt. Genauso löblich wie der Roman „Pixeltänzer“ von Berit Glanz.
Berit Glanz: „Pixeltänzer“, Schöffling & Co., Hardcover, 256 Seiten, 978-3-89561-192-6, 20 €.