Benedict Wells: Hard Land – Helden für einen Sommer

Benedict Wells credit Roger Eberhard

In seinem wunderbaren neuen Roman „Hard Land“ erzählt Benedict Wells von einem unbeschwerten Sommer 1985 samt Schicksalsschlag

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“ Bereits mit dem Eröffnungssatz von „Hard Land“ macht Benedict Wells unmissverständlich klar, um was es in seinem neuen Buch geht: Um Liebe und Tod. Also um alles. In seinem nunmehr fünften Roman entführt uns der 36-jährige Schriftsteller, der zuletzt 2018 den von uns ebenfalls rezensierten Geschichtenband „Die Wahrheit über das Lügen“ veröffentlichte, in das Amerika Mitte der 80er-Jahre. Der fast siebzehnjährige Sam Turner erinnert sich an den Sommer zuvor, als in den großen Ferien 1985 sein Leben richtungsweisende Änderungen für ihn bereithielt. Sam wohnt in dem kleinen, erzkonservativen Ort Grady in und am Missouri, wo „Der Fänger im Roggen und alles, wo es nur entfernt um Sex ging, auf dem Schulindex“ steht.

Die unbeschwerte Leichtigkeit des Lebens und ein Schicksalsschlag

Benedict Wells Hard Land Buchcover Diogenes Verlag

Sams Mutter leidet an einer Krebserkrankung, sein Vater ist arbeitslos. Er selbst ein typischer Außenseiter, schüchtern, von Angststörungen und Panikattacken geplagter Teenager mit Hang zu Selbstironie, der sich mit Gitarrenspiel und ersten Songwriting-Versuchen ablenkt. In seinem Ferienjob im alten Kino freundet er sich mit Hightower, Cameron und Kirstie an. Für die gut zwei Jahre Älteren endet nach den Ferien die Schulzeit, sie verbringen den womöglich letzten unbeschwerten, gemeinsamen Sommer. Sam teilt die Wochen bis zu seinem 16. Geburtstag in ihrer Gesellschaft, sammelt erste Erfahrungen mit Alkohol und anderen Drogen, geht auf Partys,  verliebt sich in Kirstie, doch mehr als eine gute Freundschaft scheint sich nicht zu entwickeln. Kirsties für ihn als Geburtstagsgeschenk vorbereitete Mutproben helfen Sam zum Aufbau eines gewissen Selbstbewusstseins, der dann unerwartet frühe Tod seiner Mutter setzt der neu gefunden Leichtigkeit in Sams Leben einen schwerwiegenden Gegenpart.

Benedict Wells erfindet die Euphancolie und das Bruce-Mobil

Mit stilistisch traumhafter Sicherheit versetzt sich Benedict Wells in die Gedanken- und Gefühlswelt des pubertierenden, zwischen Euphorie und Melancholie („Euphancolie“) changierenden Sam. Wells skizziert nicht nur dessen von Aufbruch geprägtes Leben in den Jahren 1985/86, sondern auch den schleichenden Niedergang des Städtchens Grady und beschäftigt sich mit der Heimat-Thematik im Zwiespalt von Großstadt und Hinterland. Literatur, Film und Musik von Bruce Springsteen, Billy Idol, Huey Lewis & The News, ELO, Michael Jackson und Journey sind weitere wichtige Komponente dieses wunderbaren Coming-of-Age-Romans. Benedict Wells besticht durch seine liebevollen und behutsamen Charakterdarstellungen. Ob nun die abenteuerlustige, zwischen extrovertiert und introvertiert changierende Kirstie; der schwule, aus einem sehr reiche Haushalt stammende Cameron, der nicht den vorprogrammierten, seiner Ansicht nach falschen Lebensweg gehen möchte, oder der schwarze Hüne Hightower, der seinen Pick-up „Bruce-Mobil“ nennt, weil dort nur Musik von Bruce Springsteen läuft. Und selbstverständlich der innerlich zerrissene Sam selbst.

Benedict Wells erzählt mit dem Esprit eines Wolfgang Herrndorf

Mit dem Esprit eines Wolfgang Herrndorf fängt  Wells die jugendliche Unschuld zwischen Unbekümmertheit und Ernsthaftigkeit in zahlreichen, sowohl witzigen als auch traurigen Momenten ein. Und als roter Faden zieht sich der Gedichtband „Hard Land“ des aus Grady stammenden Autors William Morris, den alle Schüler des Ortes einmal interpretieren müssen. Auf einer Fahrt im „Bruce-Mobil“ bricht das befreundete Quartett die eiserne Regel  und zu „Don’t Stop Believin‘“ von Journey erlebt Sam  einen für ihn bleibenden Moment. Benedict Wells schenkt uns so einen Moment indes mit diesem Buch.

Benedict Wells: „Hard Land“, Diogenes, Hardcover, 352 Seiten, 978-3-257-07148-1, 24 Euro. Beitragsbild von Roger Eberhard

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