„Von den 100 Anfragen, die ich seit Blackmail bekommen habe, habe ich 99 abgesagt“. Aydo Abay und Sascha Wiercinksi von No Body im Interview mit Sounds & Books
Interview von Jens Krüger
Der bis dato unbekannte Wuppertaler Amateurmusiker Sascha Wiercinski fragt Ex-Blackmail-Ikone Aydo Abay via Facebook, ob er auf einigen seiner Songs singen möchte. Nach einer Weile des Zauderns sagt der zu. Entstanden aus der ungewöhnlichen Liaison ist das Soundtrack-artige Epos „No Body – Loves You“.
Sascha, die Geschichte Eurer Kontaktaufnahme ist natürlich toll. Erzähl doch mal, wie die Hintergründe dazu sind.
Sascha Wiercinski: Ich habe mit meinen Geschwistern früher einige Blackmail-Konzerte besucht und war schon lange ein Fan von Aydos Stimme, von seiner Präsenz. Irgendwann habe ich selbst angefangen Musik zu machen und hatte beim Schreiben schnell Aydos Stimme im Kopf. In einem Interview habe ich Aydo sagen hören, dass er öfter bei Facebook angeschrieben wird. Ich habe gedacht: Versuch’s mal. Mehr als nein sagen, kann er nicht.
Das ist schon ein bisschen länger her?
Sascha Wiercinski: Ja, das war 2021. Erstmal ging es darum, ihn zwei, drei Songs singen zu lassen. Er hat zunächst abgelehnt. Nach einer Weile hat ihn die Musik wohl doch begeistert. Und dann kam von ihm der Vorschlag, ein ganzes Album zu machen. Genug Material war vorhanden. Die Songs, die jetzt auf dem Album sind, hatte ich schon unter dem Pseudonym Old Nobody veröffentlicht – und darauf selber eher semi-geil gesungen.
Aydo Abay: „Ich komplett Feuer und Flamme“
Aydo, wie war das aus Deiner Perspektive?
Aydo Abay: Sascha hatte mir vier Songs geschickt. Ich fand die Stücke von Anfang an interessant, hatte aber keine Zeit und auch keinen Bock auf ein neues Projekt. Auch das Feature-Ding mag ich nicht. Doch die Songs haben mich nicht losgelassen. Sascha meinte, dass er noch weitere Songs hätte und mir einen Link zu seinen bereits veröffentlichten Sachen geschickt. Gleich das erste Lied, das jetzt „0101“ ist, hat mich komplett umgehauen. Da habe ich gedacht, scheiße, irgendwie passiert da in meinem Kopf. Mir fiel auch zu jedem Song irgendwas ein.
Ich hab Sascha dann gefragt ob er Lust hätte, was Größeres daraus zu machen. Er meinte, Du kannst alles ausschöpfen von dem, was schon da ist. Das war wie eine Schatzgrube. Ich war komplett Feuer und Flamme und dachte, Alter, da gehen ja Welten auf. Sowas fehlte mir auch noch in meinem Repertoire. Und wir haben uns auch emotional ergänzt, da es uns allen nicht so gut ging. Die Schwermut ist nicht zu überhören …
Sascha Wiercinski: Bei mir hatte sich sehr viel aufgestaut über die Jahre. Sachen, die nicht verarbeitet waren, die wollten raus. Ich hatte so einen initialen Moment, wo ich angefangen habe Musik zu machen. Das war 2017. Ich habe Sachen wie Sigur Rós gehört und wollte in eine ähnliche Richtung, ein bisschen Post-Rock-mäßig, aber ohne den Gesang. Beim dritten Album wollte ich mich mehr öffnen Richtung Eingängigkeit, die Songs kürzer schreiben. Und das war das Album, wo ich dann Aydos Stimme im Kopf hatte.
Einheit aus Synths und Gitarren
Eure ersten Singles „Out On Crystal“ und vor allem „The Hideout“ gehen mit den treibenden Gitarren ein wenig in Richtung Blackmail. Doch zweifellos sind auch fette, deckende Synth-Sounds wichtig. Die Gitarre ist gar nicht mal zwingend Dein Primär-Instrument, oder?
Sascha Wiercinski: Ich suche immer den kompletten Sound. Keyboard-Flächen und Gitarren sollen eine Einheit ergeben, sich komplett anfühlen. Ich nutze z. B. Synths von Native Instruments und habe mir einen Jupiter von Roland geholt. Damit habe ich zum Beispiel „Golden Hour“ gemacht.
Aydo Abay: Ich habe ja keine Ahnung von Synths-Sounds und auch nicht von Arpeggios usw. Meine größte Angst war, als wir letztens das Video zu „Fear Of The Golden Hour“ gedreht haben, dass das alles Preset-Sounds sind. Na und ich hab letztens gehört, dass sogar bei einem Gorillaz-Song ein simples Drum-Preset genommen wurde. Aber am Ende, sobald da die eigene Note reinkommt durch Vocals, andere Instrumente, ist das Preset ja auch egal.
Also die Songs waren alle da, oder musstest Du noch welche dazuschreiben?
Sascha Wiercinski: Die Interludes, die haben wir spontan zusammen gemacht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt aber schon sieben oder acht Alben draußen und einen Pool von 70, 80 Songs. Es gab also freie Auswahl.
Die Songs haben viele Flächen, da kann man sich als Sänger gut breit machen, oder?
Aydo Abay: Stimmt, ich hatte als Sänger viel Platz und zu jedem Song zehn verschiedene Melodie-Ideen. Falls Du Dich erinnerst, Sascha, Songs wie „Fear Of The Golden Hour“ oder „Twisties“ hatten zu Beginn mehrere Gesangsparts, die wir alle rausgenommen haben, weil es irgendwann überladen wirkte. Gesang nonstop, eine Melodie jagt die andere.
Veränderte Kleinigkeiten
Das Album klingt für mich wie ein Soundtrack. Das Cover ist ja eher biblisch, ich fühlte mich gleich in einen Weltraumepos versetzt, kalt, düster, leer…
Aydo Abay: Kälte und Leere sind ja auch Begriffe, die gerne in Bezug auf Kirche benutzt werden. Es ist ja auch immer sehr statisch in so einer Kirche. Obwohl ich sehr gerne in Kirchen bin, nicht falsch verstehen.
Sascha, musstest Du die Spuren nochmal aufnehmen oder konntet Ihr die bereits aufgenommenen wieder verwenden?
Sascha Wiercinski: Aydo hatte ein paar Sachen, die er ändern wollte, das waren aber Kleinigkeiten. Das habe ich dann gemacht und dann gingen die Spuren an Thomas (Götz). Der hat die Drums eingetrommelt.
Hast Du Musik immer auf Projektbasis gemacht oder selber auch in Bands gespielt?
Sascha Wiercinski: Ich hatte immer das Gefühl, dass die Musik komplett meine sein muss, bis zum Mixing und Mastering. Allmählich bin ich so weit, dass ich mich öffne, die Songs zwar immer noch alleine schreibe, aber z. B. mein Bruder die Drums spielt und ein Kumpel singt und Bass spielt.
35 Remixe eines Songs
Kriegst Du eigentlich dauernd Anfragen geschickt, Aydo?
Aydo Abay: Jetzt, wo Corona vorbei ist, ist es viel weniger geworden. Also gar nicht mehr eigentlich. Jetzt frage ich die Leute, und das ist auch gut so. Ich mag Absagen nicht. Das ist immer ein schwerer Prozess, wenn sich die Leute Mühe gegeben und an mich gedacht haben. Das ist ja eigentlich wahnsinnig nett. Aber ich hab auch nur limitiert Zeit. Also von den 100 Sachen, die ich seit Blackmail bekommen habe, habe ich 99 abgesagt. Ich habe immer gedacht, man müsste eine persönliche Beziehung haben um Musik machen zu können. Die Meinung habe ich jetzt nicht mehr. Sascha und ich haben uns bis jetzt drei- oder viermal getroffen.
Ihr habt die Community aufgefordert, einen Remix von „Out On Crystal“ zu produzieren und 35 Remixe zugeschickt bekommen. Hat euch das überrascht?
Aydo Abay: Ja, diese Vielzahl war überwältigend. Das war die wunderschöne Idee von unserem Promo-Mann Benjamin. Ich war erst skeptisch, weil ich dachte, da kommen bestimmt nur zwei, drei oder sehr schlechte Remixe zurück. Und jetzt waren es 35. Und bis auf ein, zwei vielleicht, die ich nicht ganz verstanden habe, waren fast alle gut. Jeder hatte seinen eigenen Charakter. Die Leute haben sich total gefreut, dass man so eine gemeinsame VÖ hatte. Das war eh das Schönste, dass man mit 35 anderen Leuten in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich darauf gewartet hat, dass es veröffentlicht wird. Ein olympischer, musikalischer Gedanke. Ohne Wettbewerb.
Volles Vertrauen in Aydo Abay
Sascha, Du hast gerade gesagt, dass Deine Musik schon komplett Dein eigenes Ding sein soll. Hat Dich das Endergebnis überrascht?
Sascha Wiercinski: Ich hatte volles Vertrauen in Aydo, weil ich wusste, dass er viel Erfahrung hat. Ich wusste, da kommt was Geileres raus, als das, was es vorher war. Das ist jetzt im Ergebnis Musik, die ich auch selber hören würde. Einfach surreal für mich.
Aydo Abay: Ich bin auch mega überrascht. Das ist stimmig und homogen. Es trifft genau die Zeit, die ich erlebt habe. Und fasst sie sehr gut zusammen.
Sind schon neue Songs in der Pipeline?
Sascha Wiercinski: Ich mache weiter als Old Nobody. Ich habe gerade ein Album im Mastering, in dem ich den Schlaganfall meiner Frau verarbeite. Mein Bruder hat einen Proberaum mit Regieraum und dort das Schlagzeug eingespielt; ein Kumpel singt und spielt Bass. Es ist jetzt also ein Bandprojekt. Ich schreibe alles, muss aber lernen, Sachen abzugeben, weil andere bestimmte Dinge eben besser können.
Aydo Abay bei Friedemann Weise
Wo hast Du eigentlich die Vocals zum „Loves You“ aufgenommen?
Aydo Abay: Komplett mit Friedemann Weise in dessen Studio. Mich hat sehr gewundert, dass das so gut funktioniert hat, weil Friedemann eigentlich gar keinen Bezug zu dieser Art von Musik hat. Er hat mich fantastisch beraten. Was zu viel oder zu wenig ist, ob ein Take stimmt oder nicht. Wir haben von jedem Vocal nicht wie sonst 30 Takes gemacht, es waren immer nur zwei, drei und dann ein bisschen verbessert. Das Miteinander ist wichtig, allerdings geht mir beim Singen mittlerweile auf die Nerven, immer auf andere angewiesen zu sein. Ich habe mir jetzt Equipment gekauft, um zu Hause aufnehmen zu können, damit ich meines Takes nur noch zum Mischen wegschicken muss.
Und die Nachbarn?
Aydo Abay: Ich singe ja gar nicht mehr so laut. Von daher mache ich mir da nicht so viele Gedanken. Es ist ein Versuch. Im Notfall muss ich hier die Demos machen und dann doch in einen Raum gehen, wo ich laut singen kann. Der Friedemann hat eine Gesangskabine aus einem Karton gebaut.
Friedemann Weise hat auch das Cover gemacht, oder?
Aydo Abay: Ja, er hat das Cover gemacht, drei der vier Videos gedreht, die Poster entworfen. Friedemann hat irgendwie alles drumherum gemacht. Das war sehr dankbar für uns. Und ein Top-Schlagzeuger ist er auch, darf man nicht vergessen. Eine meiner ersten Bands hatte ich mit Friedemann, „Tagestrip“. Wir waren auf derselben Schule. Er war in meiner Parallelklasse. Das berühmte Hollenberg-Gymnasium. Zwei Stufen über uns Martin von Fortuna Ehrenfeld. Christine Prayon aus der heute-show war auch bei mir in der Klasse.
Zu guter Letzt
Abschließende Worte?
Aydo Abay: Ich muss echt sagen, wir haben eine richtig tolle Platte aufgenommen. Ich danke Dir vielmals für diese schönen Soundscapes, Sascha. Ich würde auch nicht ausschließen, dass wir vielleicht nochmal zusammenarbeiten. Ich muss nur jetzt erstmal in den nächsten zwei Jahren meinen großen Plan auf den Weg bringen. Zu viel darf ich noch nicht verraten. Es hat nichts mit Blackmail zu tun.
Oder vielleicht doch? Du hast ja zuletzt auch ein Buch veröffentlicht.
Aydo Abay: Ja, basierend auf meinen Tagebüchern. Ein zweites ist auch fertig, das sollte eigentlich jetzt am Freitag erscheinen. Aber wir kämpfen mit ein paar Legal Affairs. Da sind so ein paar Geschichten drin, die ich glaube ich gar nicht veröffentlichen darf. Deswegen kommt das Buch jetzt einen Monat später. Wir müssen das noch checken lassen.
Sascha Wiercinski: Ich möchte sagen, dass ich dankbar bin, dass unser gemeinsames Projekt zustande gekommen ist, auch die ganze Erfahrung mit dem Videodreh. Das ist ein Once-in-a-Lifetime-Projekt.
(Beitragsbild: No Body von Tabea Clever)