Aus dem Herzen Hamburgs: Das Reeperbahn Festival 2021

Reeperbahn Festival 2021 Laura Lee & The Jettes by Gérard Otremba

Live-Musik satt unter Corona-Bedingungen auf dem Reeperbahn Festival 2021

Ein lockerer Auftakt für Sounds & Books beim Reeperbahn Festival 2021. Aus zeitlich-organisatorischen Gründen standen am ersten Tag lediglich zwei Konzerte auf dem Programm. Im Imperial-Theater trat Ana Benabdelkarim, aka Silly Boy Blue, auf. Benabdelkarim begleitete sich an Synthesizer und/oder Gitarre, oder bewegte sich zu den Beats ihres Sound-Pads. Ihr Indie-Electro-Pop changiert zwischen sanfter Melancholie und tanzbarer Euphorie. Die mir bisher noch unbekannte Künstlerin hat dieses Jahr ihr Debütalbum „Breakup Songs“ veröffentlicht und gehört durch ihren Gig zu den Entdeckungen des RBF21. Die One-Woman-Show der französischen Musikerin wurde vom Publikum verdientermaßen mehr als wohlwollend goutiert. Aufgrund der pandemischen Lage konnten die Venues auch dieses Jahr nicht voll ausgelastet werden, was  die Stimmung leider natürlich etwas dämpft. Man kann nur an alle appellieren, sich endlich impfen zu lassen, damit bald wieder volle Locations möglich sind und die Maskenpflicht wegfällt.

Dementsprechend war auch das UWE (ehemals Kukuun) beim Gig von Arvid Nero bestuhlt. Der schwedische Songwriter, dessen aktuelles, zweites Album „Little White Dove“ wir an dieser Stelle rezensierten, brachte noch drei Mitstreiter an Bass, Schlagzeug und Keyboard mit, um seinen soulgetränkten Rock, Roots-Rock und Blues perfekt in Szene setzen zu können. Eine herrliche Sixties-Seventies-Vintage-Atmosphäre schwebte über den Köpfen der Gäste, Doors-Orgel-Sound inklusive. Ein intensiver halbstündiger Auftritt.

Das Reeperbahn Festival 2021 mit Eugenia Post Meridiem, Thala und Pippa

Am Donnerstag fand sich Sounds & Books zunächst erneut im UWE wieder, wo um 19 Uhr Eugenia Post Meridiem die Bühne betraten. Die junge italienische Band, deren aktuelle Single „Life Sleeper Side B“ wir bereits als Song des Tages vorgestellt haben, vollführte einen gekonnten Spagat aus Indie-Folk, Folk-Rock, Blues, Art-Pop und Psychedelic-Indie-Pop und Bossanova-Anklängen. Beschwingte Momente wechselten sich mit majestätisch-anmutigen Passagen ab. Den feinsinnigen, manchmal vertrackten Arrangements ließ das Quartett, bestehend aus Sängerin und Gitarristin Eugenia, Bassist Matteo, Gitarrist und Keyboarder Giovanni sowie Schlagzeuger Matteo viel Luft und verströmte sphärische und hypnotische Vibrationen. Eine Band mit Potential, die man sich unbedingt merken sollte.

Thala im Headcrash

Zu den Newcomern zählt auch die Berliner Musikerin Thala, die für aufmerksame Sounds & Books-Leser keine Unbekannte sein dürfte, kürten wir bereits drei ihrer Lieder zu Songs des Tages und besprachen das erst vor einer Woche veröffentlichte Debütalbum „Adolescence“ an dieser Stelle. Umso schöner, sie im Rahmen des Reeperbahn Festivals 2021 im Headcrash live erleben zu können. Und ähnlich der Studio-Aufnahmen verzauberte Thala mit ihrem Indie-Dream-Pop auch während ihres dreiviertelsündigen Konzerts, das sie in Quintett-Besetzung (Gitarre, Bass, Keyboard, Schlagzeug) spielte. Es sind schlicht Melodien zum Verlieben und Dahinschmelzen, ob als Uptempo-Track („Diditagain“) oder in Balladenform („Serenade“). Und beim letzten Song „Contradictions“ durften die Fans mitsingen. Mit Maske, ging auch. Feine Sache von allen Beteiligten. Hätte den ganzen Abend so weiter gehen können.

Ging es aber nicht, jedenfalls nicht mit Thala. Stattdessen jedoch mit Pippa am Spielbudenplatz, deren letztes Album „Idiotenparadies“ wir mit einer Review bedachten und deren neue Single „Die schönen Tage“ wir unlängst als Song des Tages präsentierten. Pippa trat als letzter Act ihres Labels LasVegas Records auf, für das die Spielbudenbühne an diesem Abend reserviert war. Es war schon reichlich kühl nach 22 Uhr auf der Reeperbahn, schlappe elf Grad und das Tanzen war ja nicht erlaubt. Nicht für die Zuschauer, aber Pippa nutzte der Raum der großen Spielbudenplatzbühne, um der Kälte mit viel Bewegungsfreiheit entgegenzuwirken. Die österreichische Musikerin brachte drei männliche Mitstreiter an Gitarre/Keyboard, Bass und Schlagzeug sowie eine bemerkenswerte Melange aus Indie-, Electro- und Art-Pop, HipHop, NDW und New Wave mit. Dem Geheimtipp-Status sollte Pippa mittlerweile entronnen sein, die am Freitag erschienene EP „Lifestream“ dient hier als aktueller Beweis. Ein absolut launiger Abschluss des zweiten Reeperbahn-Festival-Tages.            

Das Reeperbahn Festival 2021 mit Laura Lee & The Jettes, Oska, Hawel/McPhail und Trümmer

Am dritten Festival-Tag verschlug es mich Ins Backyard des Molotow. Dort konzertierten zunächst Laura Lee & The Jettes. Als ein Hälfte des Berliner Duos Gurr längst keine Unbekannte mehr im Indie-Genre, gab die Sängerin, Songwriterin und Gitarristen mit ihrer multinationalen Begleitband – die Mitglieder stammen aus Neuesseland, Australien und den USA – eine Kostprobe des Ende November bei Duchess Box Records erscheinenden Debütalbums „Wasteland“, darunter das von uns bereits als Song des Tages vorgestellte „Absolut“. Der Indie-Rock-Pop von Laura Lee & The Jettes changierte zwischen melodiegetränkter Catchyness und ausufernden Passagen, in denen Lee schon mal die Bühne verließ, um, selbstverständlich mit Schutzmaske, direkt vor dem Publikum ein Gitarrensolo zu spielen. Ein Auftritt als verheißungsvoller Vorbote auf das kommende Album.

Wesentlich ruhiger ging es anschließend auf der kleinen Bühne des N-Joy-Buses auf dem Spielbudenplatz zu. Als musikalischer Gast fand sich die österreichische Newcomerin Oska ein, die in Trio-Formation auftrat. Ein Mini-Ging von nur einer Viertelstunde, doch allein das Zuhören des berührenden „Woodstock“ (nein, keine Joni-Mitchell-Coverversion) lohnte den Besuch. Filigraner Folk-Pop eines aufstrebenden Talents. Über Oska wird zukünftig wohl häufiger geschrieben werden müssen. Das Debütalbum ist in Arbeit, wir warten sehnsüchtig.

Zurück im Molotow-Backyard, wurde der nachfolgende Sound wieder entschieden lauter. Das Hamburger Duo Hawel/McPhail stellte sein im Mai veröffentlichtes und von uns an dieser Stelle rezensiertes Album „Transmission From The Upper Room“ live vor. Turbo-Rock’n’Roll, gespeist aus Garage-Rock, Blues, Beat und Punk des ehemaligen Tigerbeat-Frontmannes und seines als Tocotronic-Gitarrist- und Keyboarder bekannt gewordenen, hier nun trommelnden Kollegen. Hawel/McPhail ließen den Sound von MC5 und Iggy Pop & The Stooges wieder aufleben und sorgten für ständig wiederkehrende Euphorieschübe im Publikum. Das richtige Aufputschmittel gegen meine aufkommende Müdigkeit nach zwei Abenden am Reeperbahn Festival und zwei zu kurzen Nächten.

Trümmer im Knust

Von Euphorie getragen wurde auch die Indie-Rock-Band Trümmer während ihres Gigs im Knust. Ein Comeback-Auftritt in Hamburg nach fünf Jahren Pause. Sänger und Gitarrist Paul Pötsch sprach von Nervosität und Freude, wieder live spielen zu können. Die Freude überwog wohl, denn von großer Nervosität war nicht viel zu spüren. Auf der Setlist standen die Songs ihres soeben erst veröffentlichten dritten Albums „Früher war gestern“ im Mittelpunkt, von denen sich „Wann wenn nicht“, „Im Prinzip gegen das Prinzip“, „Draußen vor der Tür“ und „Zwischen Hamburg und Berlin“ bereits wie alte Band-Klassiker klangen. Mit „Revolte“ sowie als abschließender Höhepunkt mit „Wo ist die Euphorie“ und „1000. Kippe“ waren auch diese vertreten und ließen die Fans verzückt in corona-eingeschränkte Ekstase geraten. Cool waren Trümmer schon vor sieben Jahren, cool sind Trümmer immer noch.  

Das Reeperbahn Festival 2021 mit Antje Schomaker, Dopha, Francis Of Delirium und King Hannah

Der vierte und letzte Tag beim Reeperbahn Festival 2021 begann für Sounds & Books mit dem Auftritt von Antje Schomaker und ihrer dreiköpfigen Begleitband auf der Arte Concert Stage auf dem Heiligengeistfeld. Ein Konzert der nunmehr in Berlin lebenden Songwriterin zu besuchen, ist wie das Treffen mit guten alten Freunden. Man fühlt sich sofort pudelwohl und kann die gemeinsamen Stunden genießen. Bei Schomaker war es exakt eine Stunde, die sie mit Songs ihres Debütalbums „Von Helden und Halunken“, darunter „Gotham City“, „Für einen Funken Euphorie“, „Bis mich jemand findet“, „Mein Herz braucht ein Pause“ und „Aller guten Dinge“, und neuen Stücken wie dem von uns zum Song des Tages gekürten „Zeichen“ sowie „Augenhöhe“, ein Lied über und für die Gleichberechtigung von Künstlerinnen auf Playlists bei Streamingdiensten, füllte.

Immer wieder betonte Schomaker, die für ihren Gig das zehnjährige Abi-Treffen sausen ließ, die Wichtigkeit Hamburgs in ihrer musikalischen Entwicklung, immer wieder war sie erstaunt und begeistert ob der vielen Menschen, die sich bei spätsommerlichen Temperaturen und noch wärmendem Sonnenschein am späten Nachmittag vor der Arte Concert Stage einfanden. Und bedankte sich auf ihrer Weise mit einem  gute Laune verbreitenden Konzert.

Dopha im Indra

Einer dieser Überraschungs-Gigs, für das man das Reeperbahn Festival als Musikjournalist (und hoffentlich wohl auch als Musikfan) so schätzt, war der von Dopha im Indra. Die junge dänische Songwriterin, auf deren im Januar veröffentlichtes Debütalbum „The Game“ wir mit einem Song des Tages hinwiesen, präsentierte ihren groovigen Pop samt vierköpfiger Band an Gitarre, Keyboard, Bass und Schlagzeug live in einer wesentlich rockigeren Form und strahlte dabei nicht nur stimmlich eine enorme Präsenz aus. Dopha kokettierte immer wieder mit dem Publikum und nahm die kleine Indra-Bühne gekonnt in Beschlag. Man merkte schnell, wie sehr sie als Live-Musikerin aufblüht und das Potential besitzt, auch größere Venues zu erobern. Vielleicht haben die Zuschauer im Indra den kommenden dänischen Pop-Rock-Star gesehen, auf jeden Fall aber einen klasse und mit viel Applaus bedachten Auftritt erlebt.

Aus Luxemburg zum Reeperbahn Festival angereist sind Francis Of Delirium. Im Molotow spielte das Trio um Sängerin und Gitarristin Jana Bahrich ein dreiviertelsündiges Set mit Indie-Alternative-Grunge-Songs, bei denen alle Headbanger-Freunde in Verzückung gerieten. Die langen schwarzen Haar Bahrichs wirbelten ein ums andere Mal um ihr Gesicht, doch es sind nicht nur die harten Rockanteile, die die Musik von Francis Of Delirium prägen. Vielmehr beherrscht und exerziert die Band die Laut-Leise-Kombination ihrer Arrangements in nahezu allen Songs. Lyrische Passagen wechselten sich mit brachialen ab, und Bahrich wisperte und schrie die dazugehörigen Songabschnitte passgenau. Ein überaus unterhaltsames Konzert.

King Hannah im Nochtspeicher

Als erwartbares Highlight des letzten Abends beim Reeperbahn Festival 2021 entwickelte sich der Auftritt von King Hannah. Das Duo aus Liverpool, das Sounds & Books bereits zu drei Songs des Tages animierte und live zum Quintett anwuchs, hat sich bereits im Vorfeld als ein heißer Newcomer-Act empfohlen, die ellenlange Schlange vor dem Nochtspeicher bereits weit über eine Stunde vor Konzertbeginn wunderte also nicht. Die Bezeichnung Indie-Dream-Pop hat sich schon mit dem Erscheinen der Debüt-EP „Tell Me Your Mind And I’ll Tell You Mine“ als nur die halbe Wahrheit erwiesen. Beim Reeperbahn-Festival-Auftritt machten Sängerin und Gitarristin Hannah Merrick und Gitarrist Craig Whittle samt Begleitung an Keyboard, Bass und Schlagzeug klar, dass Mazzy Star nur eine Referenz unter vielen darstellt.

Der King-Hannah-Sound lässt sich treffend als ein hypnotischer und beschwörender Indie-Americana-Slowmotion-Blues charakterisieren, der die gut 60 zugelassenen Fans vollkommen faszinierte und  in seinen Bann zog. Ob „Meal Deal“, die famose Coverversion von Bruce Springsteens „State Trooper“, oder das überragende „Crème Brûlée“: Songs von entrückter und gleichzeitig geerdeter Intensität. Ein ganz großer Genuss. Es war das erste Konzert von King Hannah außerhalb Großbritanniens und alle, die Einlass fanden, konnten sich glücklich schätzen. Alle anderen pilgern zu ihren irgendwann sicherlich stattfindenden Postcorona-Gigs. Newcomer der Stunde, Band der Zukunft.  

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