Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd

Die Sinnsuche eines 22-Jährigen

von Gérard Otremba

Für seinen vierten Roman Es geht uns gut erhielt Arno Geiger 2005 den begehrten Deutschen Buchpreis. Weitere Auszeichnungen folgten und auch sein Prosawerk Selbstporträt mit Flusspferd ist prädestiniert für neuerliche Literaturpreise. In seinem neuen Roman reflektiert der 1968 geborene Österreicher die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. Nach zehn Jahren trifft der Ich-Erzähler Julian seine frühere Freundin Judith wieder und erzählt die Geschichte ihres Trennungsjahres. Es ist das Jahr 2004, Julian 22 Jahre jung und vom Leben völlig verunsichert. Die soeben vollzogene Trennung von Judith im beiderseitigen Einverständnis schmerzt ihn mehr als befürchtet. Ablenkung findet Julian in seinem neuen Semesterferienjob, wo er bei Professor Beham in Vertretung seines Freundes Tibor ein Zwergflusspferd pflegt. Natürlich hat Professor Beham eine schöne und undurchsichtige Tochter, die 27-jährige Aiko, in die sich Julian verknallt und mit ihr eine neue Beziehung anfängt. Zur Stärkung seines Selbstwertgefühls führt das neue Verhältnis nicht wirklich, Julian lernt neue Bedrohungen und Ängste kennen, ist Aiko, sonst Journalistin in Paris und dort mit einem ominösen Belgier verbandelt, doch von flatterhaftem Gemüt, geheimnisvoll und das Gegenteil der soliden und straighten Judith, über die Julian noch immer nicht hinweg ist.

„Das Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Trennung, heißt es. Und das Gegenteil von Schönheit nicht Hässlichkeit, sondern Schaden. Ganz allein stand ich da und fühlte mich schadhaft.“

Es steht wahrlich nicht gut um unsere Hauptfigur. Julian verliert sich in einer zwar nachvollziehbaren, häufig jedoch penetranten und am Rande des Erträglichen angesiedelten Larmoyanz.

„Ich falle in die Dornen des Lebens. Und nie mehr werde ich irgendwo der erste sein, bei irgendwas oder irgendwem.“

Julians Selbstmitleid ist der Leser hoffnungslos und letztendlich zu oft ausgesetzt. Allein, es bleibt der einzige negative Kritikpunkt. Die von Arno Geiger skizzierten Charaktere sind vortrefflich geglückt. Sei es Julians vor Selbstbewusstsein strotzender Freund Tibor, der an den Rollstuhl gefesselte und seinen Tod erwartende Professor Beham, oder Julians neurotische Mitbewohnerin Nicki. Der heimliche Star des Buches aber ist zweifellos das Zwergflusspferd, das in stoischer Ruhe, Langsamkeit, Gelassenheit und Gleichmut sein Leben lebt. Eine Antipode zu Julians verzweifelter Suche nach einem Platz im Leben, die für ihn mehr Fragen aufwirft, als beantwortet. Sein Verhältnis zu Aiko wir immer komplizierter und fatale Weltgeschehnisse wie die Geiselnahme von Beslan und andere Katastrophen des Jahres 2004 lassen seine Verunsicherung stetig wachsen. Julians Coming-of-Age begleitet Geiger in einem ruhigen und betrachtenden Stil mit gelegentlichen humoristischen Ausflügen in den Wiener Schmäh. Unglück, Entfremdung und Isolation sind starke Motive in Geigers Roman Selbstporträt mit Flusspferd. Dass die Zukunftsangst, gepaart mit mangelnder Erfahrung, bei einem 22-Jährigen dominiert, ist nur allzu verständlich.

„Vor drei Jahren war die Welt noch geordneter, da war ich vollkommen sicher in dem, was ich gedacht, und in dem, was ich empfunden habe, so sicher, wie nur jemand sein kann, der völlig ahnungslos ist. Absolute Überzeugungen, absolute Gefühle: das macht die Dinge übersichtlich. Jetzt hingegen: Wenn ich an die Gegenwart denke, schlägt mein Herz unregelmäßig. Und wenn ich an die Zukunft denke, kommt ein Stechen dazu.“

Arno Geiger entlässt seinen Protagonisten trotz aller Bedenken hoffnungsvoll in die Erwachsenenwelt und den Leser mit dem Gefühl zurück, seine Zeit mit einer sinnvollen Lektüre verbracht zu haben.

Arno Geiger: „Selbstporträt mit Flusspferd“, Hanser Verlag, Hardcover, 978-3-446-24761-1, 19,90 €.

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