Ein superber Roman über das Leben mit dem alternden, ehemaligen Herrscher Karl V. als Hauptfigur von Arno Geiger
von Gérard Otremba
Das Leben von Karl V. hätte sicherlich einiges hergegeben für einen historischen Roman. Doch das Leben des mächtigen Habsburger Kaisers des Heiligen Römischen Reichs und Königs von Spanien interessiert Arno Geiger nur peripher. Der neue Roman des ersten Gewinners des Deutschen Buchpreises (2005, „Es geht uns gut“) setzt im Jahr 1558 ein, als Karl V. bereits von seinen Ämtern zurückgetreten war und schwer krank seinen Lebensabend in Yuste, in der Extremadura verbrachte. In Geigers Buch „Reise nach Laredo“ rafft sich Karl vor seinem Tod noch zu einem letzten Abenteuer auf. Seine Reise nach Laredo an die spanische Biskaya-Küste zwischen Santander und Bilbao tritt der ehemalige Herrscher nicht allein an.
Arno Geiger spielt mit Western-Motiven
Mit dem elfjährigen Geronimo, der weder weiß noch ahnt, dass Karl sein leiblicher Vater ist, brennt er in der Nacht durch. In der Folge zeichnet Arno Geiger eine ungewöhnliche, mithin berührende, teils heftige Road Novel, die nicht nur aufgrund des vorangegangenen Mottos („I know I‘ve done wrong.“) aus dem Country-Song „The Streets Of Laredo“ mit Western-Motiven spielt. Auf ihrem Trip ans Meer lernen Karl und Geronimo die Geschwister Honza und Angelita kennen, die der in Frankreich und Spanien diskriminierten Bevölkerungsgruppe der „Cagots“ angehören und just Misshandlungen ausgesetzt waren. Karl heuert die beiden als Begleitung nach Laredo an und besonders die schöne Aneglita und Geronimo freunden sich an. Im Wirtshaus eines zwielichtigen und zynischen Besitzers bleibt das ungleiche Quartett hängen und vertreibt sich die Zeit mehr oder weniger unfreiwillig mit Kartenspielen, Zechgelagen, Prügeleien und einem mythischen Greif.
Karl philosophiert
Allein die Abenteuerhaftigkeit im Stil von Dumas‘ Musketiere ist Geigers Anspruch nicht. Vielmehr interessieren den 1968 in Bregenz geborenen Schriftsteller die Träume und Wünsche seiner Protagonisten, die im Großen (wie bei Honza), oder im Kleinen (wie bei Geronimo und Angelita), oder in der Endlichkeit (wie bei Karl) liegen können. Auf seiner Reise nach Laredo beschäftigt sich Karl gelegentlich mit seiner Vergangenheit und gerät mitunter ins Philosophieren („War der Rückzug nach Yuste der eigentliche Beginn seines Lebens oder der eigentliche Beginn seines Sterbens? War der Rückzug sein größter Fehler oder seine bedeutendste Tat?“). Nach seinem autobiographischen Buch „Das glückliche Geheimnis“ aus dem Jahr 2023 nun also fiktiv-historischer Stoff aus dem 16. Jahrhundert. Ein an Motiven reicher Stoff (neben den schon erwähnten Western-Motiven spielt das Wasser eine markante Rolle), den Arno Geiger gewohnt filigran und mit zarter Ironie erzählt. Und ein superber Roman über Unbeschwertheit, Freiheit und das ganze Leben.
Arno Geiger: „Reise nach Laredo“, Hanser, Hardcover, 272 Seiten, 978-3-446-28118-9, 26 Euro. (Beitragsbild: Arno Geiger von Heribert Corn)