Arcade Fire: Reflektor

Auf Reflektor wenden sich Arcade Fire auf charmante Weise dem Clubsound

von Gérard Otremba

Mit ihrem Debutalbum Funeral setzten Arcade Fire 2004 ein dickes Ausrufezeichen ins Indie-Rock-Genre. Ihre von persönlichen Tragödien geprägten Songs hatten Stil, Bombast. Pathos und eine grenzenlose Dringlichkeit, die neue Spektren zwischen Folk, Rock und Pop eröffneten. Gleich vier Stücke wurden mit „Neighborhood“ betitelt, eins schöner als das andere, dazu noch „Wake Up“ und „Rebellion“, teilweise schrie Sänger Win Butler seine Texte mit an Wahnsinn grenzender Intensität und hatte mit Régine Chassagne den kongenialen weiblichen Gegenpol am seiner Seite. Zusammen mit Richard Reed Perry, Tim Kingsbury, William Butler, Howard Bilerman, Sarah Neufeld und diversen Gastmusikern mischten sie in ihren Sound zu den üblichen, verdächtigen Instrumenten noch Orgel, Akkordeon, Xylophon, Violinen, Celli und Hörner, von überschwänglich bis zu Tode betrübt.  Der Nachfolger Neon Bible, nun mit Jeremy Gara statt Howard Bilerman an den Drums, legte insgesamt etwas mehr Zurückhaltung an den Tag, doch der opulente Pathos von „Intervention“ sowie die allseits beliebten Hymnen „Keep The Car Running“ und „No Cars Go“ boten dann doch wieder den unwiderstehlichen Arcade Fire-Enthusiasmus. Die Arrangements auf The Suburbs von 2010 zielten mehr in Richtung Pop, erreichten in England Und den USA sofort Platz eins in den Charts, ein Grammy und zwei Brit Awards waren der verdiente Lohn, denn es war natürlich Pop auf Weltklasse-Niveau, wie die Songs „Ready To Start“, „Modern Man“, „We Used To Wait“ oder „Half Light“ bewiesen. Schönster Arcade Fire-Pop.

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Foto: Korey Richey / Universal Music

Arcade-Fire-Pop mit neuen Facetten

Den gibt es auf dem vierten Longplayer Reflektor auch zu hören, aber anders. Die Wahl des Produzenten James Murphy, der mit LCD Soundsystem und als Mann hinter den Reglern in der Clubmusik bekannt wurde, hinterlässt Spuren. Die 13 Stücke auf dem über 70 Minuten währendem Doppel-Album sind teilweise von monumentaler Länge. Allein die Single und Album-Titel- und Eröffnungstrack „Reflektor“ kommt auf stattliche 7:35 Minuten. In denen natürlich schnell klar wird, dass sich die aus Montreal stammende Band für sie bisher unbefleckten Sounds öffnet. Es gibt Disco-Pop der 70er mit karibischen Einflüssen zu hören, getrieben von einer groovenden Basslinie, wirbelnden Percussion, einer leisen funky Gitarre und zu den Butler-Chassagne-Gesängen gesellt sich David Bowie hinzu. Wahrscheinlich bekommen nur Arcade Fire diese Art der popmusikalischen Klänge auf ihre charmante Weise zum Leuchten. Und so geht es vornehmlich im Club-Gewand und epischen Songstrukturen weiter, dominiert von Keyboards und Synthesizern. Arcade Fire setzen auf Rhythmuswechsel sowie Soundspielereien- und Effekte, geben sich weniger Bombast als bisher hin, erlauben sich aber trotzdem reichlich euphorische Sequenzen wie bei „Here Comes The Night Time“ oder dem entfesselnd rockenden „Normal Person“. Moderner New Wave-Pop, der an die Band Stars erinnert, zelebrieren die Kanadier bei „We Exist“, zum unwiderstehlichen Arcade Fire-Pathos-Pop entwickelt sich „Awful Sound Oh Eurydice“, während die Combo für „It’s Never Over Orpheus“ R&B und Soul  zum Disco-Pop untermischt. Mit dem lässigen Pop von „Afterlife“ und dem über elf Minuten dauernden und zum Ende schlicht vor sich hin tuckernden „Supersymmetry“ schließen Arcade Fire Reflektor ab. Die Arcade Fire-Fans müssen ihre Hörgewohnheiten für dieses Album umstellen, der Wechsel indes lohnt sich. Manchmal zwar gewöhnungsbedürftig, jedoch erweitern Arcade Fire ihre Stilvielfalt um weitere wundervolle Facetten.

„Reflektor“ von Arcade Fire ist am 25.10.2013 bei Vertigo / Capitol / Universal erschienen.

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