Ein bewegender und hoch emotionaler Familienroman
von Gérard Otremba
Ein gemeinsames Weihnachtsfest mit ihren Kindern. Das ist der Wunsch von Rosaleen Madigen, die nach dem Tod ihres Mannes im heruntergekommenen Familienhaus, das sie verkaufen möchte, im irischen Ort Ardeevin vereinsamt. Das Problem besteht jedoch in der Entfremdung Rosaleens zu ihren Kindern. Von früh auf baut die Mutter eine Distanz zu ihren vier Eleven auf, die bis zur Unnahbarkeit reicht und auch im Alter jenseits der 70 Bestand hält. Gleichzeitig vereinnahmt sie ihre Sprösslinge mit einem teils absurden Verhalten und doch fühlt sie sich von ihnen zu Unrecht ungeliebt. Trotz einiger Bedenken lassen sich alle vier zu Weihnachten blicken.
Ihr ältester Sohn Dan ist längst nach Amerika ausgewandert. Einst wollte er Priester werden und erlebte später sein homosexuelles Coming-out im New York der AIDS-Hochphase Anfang der 90er Jahre und lebt nun mit seinem Partner in Toronto. Sein Bruder Emmet bereist die Welt als Entwicklungshelfer und schlittert in emotionale Krisen. Den beiden Schwestern ist das Glück ebenfalls weniger hold. Hanna scheitert mit der gewünschten Karriere als Theaterschauspielerin und sucht nach der Geburt ihres eigenen Kindes Trost im Alkohol. Einzig Constance scheint ein glückliches Familienleben zu führen, allein der Schein trügt, denn auch sie erlebt nahegehende, persönliche Krisen.
Rosaleens Fest umfasst die Zeitspanne zwischen 1980 und 2005. Alle Hauptprotagonisten (allein der Vater spielt in diesem Roman kaum eine Rolle) stellt Anne Enright in einem eigenen Kapitel eines bestimmten Jahres ausführlich vor, bevor es 2005 zur großen Zusammenkunft kommt. Unter den Geschwistern herrschen ähnlich befremdliche Verhältnisse wie zur Mutter. Zwischen Wohlgefallen und gegenseitiger Abneigung pendelt das emotionale Beziehungsgeflecht, das während der Weihnachtsfeierlichkeiten tragische Züge annimmt. Mit genauso viel irischer Direktheit wie Witz, meistens kühl und distanziert, manchmal voller Wärme, erzählt die Booker-Preisträgerin Anne Enright von den Schicksalen der einzelnen Familienmitglieder. Ein sensibles psychologisches Porträt, das niemand vor Verletzungen und Missverständnissen aufgrund von mangelhafter Kommunikation bewahrt. Ein bewegender, manchmal auch verstörender, aber hoch emotionaler Familienroman.
Anne Enright: „Rosaleens Fest“, DVA, Hardcover, 978-3-421-04700-7, 19,99 €.